Erfolgsverwöhntes Filmerduo

Interview mit Gastón Duprat und Mariano Cohn

Von Valerie Thurner

Das erfolgreiche Filme- und Fernsehmacher-Duo Gastón Duprat und Mariano Cohn hat den TV-Kanal Ciudad Abierta der Stadt Buenos Aires entwickelt, gegründet und geführt. Zusammen haben Cohn und Duprat über 20 Experimentalfilme und -videos kreiert. Ihre bisherigen Spielfilme erhielten zahlreiche Auszeichnungen, wie “Enciclopedia” (1998), “Yo Presidente” (2006) und “El artista” (2008). “El hombre de al lado” (2009) wurde beim 24. Filmfestival von Mar del Plata als bester argentinischer Langspielfilm prämiert und gewann außerdem innerhalb des Wettbewerbs “World Dramatic” in Sundance den Preis für die beste Kamera. Der Film wurde im Mai/Juni 2009 in der “Casa Curutchet” gedreht, dem einzigen Gebäude des berühmten Architekten Le Corbusier auf dem amerikanischen Kontinent. In einem Interview gaben die beiden Auskunft über ihre Arbeit.

V.T.: Mich interessiert erstmal die Beziehung von Architektur und Personen, was ja ein zentrales Thema ist in diesem Film, sowohl erzählerisch wie formal.

G.D./M.C.: Die Idee eines klassischen Nachbarnkonflikts hatten wir seit etwa vier Jahren. Wir wollten aber den Film von Anfang an in der Casa Curutchet drehen und schrieben vor Jahren bereits ein Drehbuch. Es dauerte jedoch weitere zwei Jahre, bis wir die Drehbewilligung erhielten, die unverzichtbar war für die Realisation dieses Films. Ohne dieses spezifische Haus als Schauplatz hätte es den Film “El hombre de al lado” nicht gegeben. Das Haus fungiert in der Geschichte wie ein zusätzlicher Charakter.

V.T.: Warum musste der Film unbedingt in diesem Haus gedreht werden?

G.D./M.C.: Naja, es ist eben das einzige Einfamilienhaus von Le Corbusier in diesem Stil auf dem amerikanischen Kontinent, wenn nicht sogar in der Welt. Es gab für uns keine Alternative. Die Bauweise und die Lichtführung der Architektur von Le Corbusiers Wohnhäusern sind einzigartig auf der Welt. Die meisten Häuser sind jedoch von großzügigen Parkanlagen umgeben. Die Casa Curutchet ist mitten in einem Wohnviertel in La Plata. Diese engen Raumverhältnisse, die der Architekt so genial gelöst hatte, waren zwingend für unsere Geschichte.

V.T.: Ist das Haus normalerweise bewohnt?

G.D./M.C.: Nein, es ist kein Privathaus mehr, sondern ein Museum.

V.T.: War es schwierig, die Drehbewilligung zu erhalten?

G.D./M.C.: Ja, sehr.

V.T.: Der Film behandelt ja auch auf einer philosophischen Ebene die Frage der Gegensätze. Einerseits dieser einfache Mann Victor und auf der anderen Seite der erfolgreiche, affektierte Leonardo. Zwei Welten, die auf der Trennmauer aufeinanderprallen. Ist der Vorschlaghammer ein Symbol für das Einbrechen der Realität in diese künstliche Welt eines Stardesigners?

G.D./M.C.: Hm, eigentlich sind beide Welten künstlich. Das ist eine Frage der Perspektive, die ein Zuschauer einnimmt. Das Publikum erkennt sich einmal mehr in der einen Welt wieder, mal mehr in der andern. Wir sind nicht von einer wertenden Gegenüberstellung von Lebenssystemen ausgegangen, sondern mehr daran interessiert, auf Kontraste hinzuweisen. In diesem Sinne ist der Hammer ein Symbol einer Grenzüberschreitung, ja.

V.T.: Ihr wollt keine Kritik an der Oberschicht ausüben?

G.D./M.C.: Nein. Wir wollen nicht in diese Schublade der Gesellschaftskritik gesteckt werden. Es ist mehr eine Kritik an gesellschaftlichen Konventionen allgemein, aber nicht ausschließlich an einer bestimmten Gesellschaftsschicht. Das Konzept des Films ist die Lösung eines zwischen zwei Nachbarn entstandenen Konflikts.

V.T.: Aber es geht doch auch um Besitzverhältnisse? Ich denke da an eine Schlüsselszene des Films, als Victor und Leonardo sich an der Trennwand begegnen, und Victor Leonardo erklären will, dass er ja nur einige Sonnenstrahlen nehmen will, die jener nicht alle selbst braucht. Mir scheint diese Szene im Film wie ein Kristallisationsmoment des Grundkonflikts.

G.D./M.C.: Ja, das kann man so sehen. Das Drehbuch hat ja Gastóns Bruder Andrés Duprat geschrieben, wie auch bereits die Skripte aller früheren Filme von uns. Und er schrieb die Geschichte mit einem seiner Nachbarn im Hinterkopf, der dem Protagonisten Victor sehr ähnlich ist.

V.T.: Aber ihr seid mit der Kritikerin, die in eurem Film einen ironischen Unterton am neureichen Lebensstil erkannt hat, nicht einig?

G.D./M.C.: Nein, das war nicht die Idee. Schau, Kritiker müssen dich immer irgendwie in eine Schublade stecken, wenn sie dich vorher nicht gekannt haben.

V.T.: Viele Journalisten schreiben, dass eure Filme immer um die Gefühle von Scham oder Beklemmung kreisen, sowohl filmisch wie auch inhaltlich. Stimmt ihr dem zu?

G.D./M.C.: Ja, wir wollen immer Situationen des Unbehagens schaffen. Das ist, was uns interessiert. Unsere Filme sind unbequem. Auch die Kameraarbeit schafft oft Momente der visuellen Enge, die dann beklemmend wirken.

Vor allem war ja die Beschränkung auf einen szenischen Handlungsraum das Grundkonzept des Films. Die Kameraarbeit ist sehr reduziert, die Einstellungen meistens mit fixer Kamera gedreht, die in dem einen Moment nur eine einzige Perspektive auf das Geschehen bietet. Außerdem gibt es keine einzige Aufnahme oder Innenaufnahme des Hauses von Victor. Auch dann nicht, wenn die Kamera beispielsweise Leonardo verfolgt, wenn er den Raum durchquert, oder bei Aufnahmen ohne Figuren. Das Haus Victors bleibt ungesehen.

V.T.: Die Objekte im Film haben eine bestimmte narrative Bedeutung. Eure preisgekrönte Kameraarbeit setzt die Architektur, die Innenausstattung, das Mobiliar in eine psychologische Beziehung zu den Figuren, die auch wiederum Rückschlüsse auf die Beziehungen zwischen den Figuren zulässt.

G.D./M.C.: Klar, wenn du eine filmische Welt erzeugst, hast du alles unter Kontrolle, was du auf dem Bildschirm sehen willst.

V.T.: Ja, aber ich meine konkreter: Da gibt es diese Partyszene, wo Victor in einen Schaukelstuhl sinkt, das einzige bewegliche Mobiliar in dieser sehr statischen Umgebung. Passiert dieser Moment nicht auch an einem Wendepunkt der Geschichte?

G.D./M.C.: Ja … kann sein. (Sie lachen beide, ohne weiter darauf eingehen zu wollen.)

V.T.: Eine Frage zum Schluss des Films: Warum habt ihr ein tragisches Ende einem Happy-End vorgezogen? Gab es auch andere Optionen für das Ende des Films?

G.D./M.C.: Es ist nicht eindeutig am Ende, ob Victor stirbt oder nicht. Aber es ist ein abruptes, überraschendes Ende nach einer personellen Annäherung und Solidarisierung zwischen Leonardo und Victor, und man geht davon aus, dass dieses Fenster letztlich doch machbar wäre. Und nach dieser Annäherung ist dann die Wendung doch sehr abrupt und überraschend.

V.T.: Wie steht es mit der Finanzierung? Ist die Limitierung des Budgets ein Grund, weshalb ihr euch auf einen Schauplatz beschränkt? In Buenos Aires gibt es ja seit etwa 10 Jahren eine boomende Filmszene, aber es fehlt konstant an Geld.

G.D./M.C.: Wir möchten alles so einfach wie möglich halten, sowohl finanziell wie auch narrativ. Wir haben verlässliche Produzenten wie in diesem Film Aleph Media, Television Abierta oder das Argentinische Filminstitut (INCAA). In der Vergangenheit hatten wir auch internationale Koproduzenten wie Cinecittà Italia bei “El artista”.

V.T.: Wie positioniert ihr euch in der Kunstszene?

(Sie schmunzeln.)

V.T.: In der Filmszene?

(Sie schmunzeln weiter.)

V.T.: Nein, im allgemeinen, ihr arbeitet ja in verschiedenen Bereichen, von der Bildenden Kunst über Fernsehen bis hin zum Kino.

G.D./M.C.: Wir wählen immer jeweils das Medium, das sich möglichst gut eignet für die Idee, die wir umsetzen möchten. Einmal ist es Video, dann ein Fernsehformat oder auch ein Langspielfilm. Wir verstehen uns im Grunde genommen nicht als Cinephile. Wir kennen die großen Meister des Kinos nicht, so haben wir auch keine Vorbilder aus der Kinogeschichte. Wir haben einen unbelasteten Zugang zum Film.

V.T.: Was haltet ihr von dieser Unterscheidung zwischen High und Low Culture? Für mich ist diese Unterscheidung Nonsense.

G.D./M.C.: Für mich ist alles Low. (Beide lachen.) Das Fernsehen zum Beispiel gilt als Low Culture, aber für uns war es das schlaueste Medium mit dem größten Potenzial. Da gibt es viel mehr kreativen Spielraum. Zum Beispiel in unserem Programm Ciudad Abierta, da konntest du jemanden anrufen und eine Stunde später waren wir mit der Kamera bei denen zu Hause.

Oder wir versuchen auch immer, andere Sparten mit einzubeziehen in einen Film. Der Künstler León Ferrari beispielsweise war Produzent für “El artista”. Oder nur schon die Tatsache, dass der Drehort ein Haus von Le Corbusier ist. Oder das Fingertheater, das Victor vorführt am umkämpften Fenster, das sind Werke des Künstlers Carlos Herrera. Und dieser spielt dieses Fingertheater auch jeweils selbst in den entsprechenden Szenen, wo wir Victors Hände in Nahaufnahme sehen, das sind eigentlich die Hände Herreras, die da einen so kunstvollen Tanz vorführen. Er arbeitet da immer mit Essensresten und Alltagsgegenständen und bastelt damit eine Inneneinrichtung.

V.T.: Habt ihr einen Beitrag für das Bicentenario in Planung?

G.D./M.C.: Nein, für uns bedeutet das nichts, wir arbeiten weiter an einem neuen Film. Der heißt “Querría comprar cigarrillos y vuelvo”. Es handelt von einem Typen, der in die Vergangenheit reist. Es wird bestimmt eine Überraschung sein.

V.T.: Danke für das Interview.

Filmkritik von “El hombre de al lado”.

Fotos von oben nach unten:

Cohn und Duprat beim Dreh.

Konflikt: Victor schlägt ein Loch in die Wand zu seinem Nachbarn Leonardo.

Künstlerisches Element: Fingertheater am umkämpften Fenster.

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