Überzeugender Auftakt

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Das eindringliche Stück “Dinero o Vida” leitet einen Zyklus “Dramaturgías Cruzadas” ein

Von Katharina Köhler

Das Goethe-Institut eröffnete diesen Montag mit dem Stück “Dinero o Vida” (Geld oder Leben) seinen Zyklus “Dramaturgías Cruzadas” im Espacio Callejón. Das Werk entstand aus der Kollaboration des Deutschen Philipp Löhle, Hausautor des Maxim Gorki Theaters in Berlin, und der argentinischen Schauspielerin, Regisseurin und Dozentin für Schauspiel Carolina Adamovsky.

Mit der Unabhängigkeit als Schwerpunktthema der Projekte des Zyklus und der grundlegenden Frage nach Andersartigkeit, die sich aus der Zusammenarbeit mit Künstlern aus einer anderen Kultur- und Theaterszene ergibt, transformierte sich Löhles Text in den Händen der argentinischen Regisseurin Adamovsky zu einem Stück über soziale Unterschiede und wirtschaftliche Unsicherheit. Problematiken, die auf die deutsche ebenso wie auf die argentinische Gesellschaft angewendet werden können, die aber durch die teils extremeren Zustände vor Ort noch an Eindringlichkeit gewinnen.

Ein Mann wird in seinem Haus überfallen und gefesselt. Er hat Angst, zittert und bittet mit weinerlicher Stimme um etwas zu trinken. Er wirkt gepflegt und trägt einen Seidenpyjama. Sein Gegenspieler ist leger gekleidet und wirkt deutlich gefasster – die Situation scheint ihn anfangs sogar leicht zu belustigen. Die Schauspieler Marcelo Pozzi und Ignacio Rodríguez de Anca stellen zwei Männer dar, die bereits auf den ersten Blick nicht unterschiedlicher sein könnten. Im Folgenden erfährt der Zuschauer in einem intensiven, halbstündigen Dialog, dass auch ihre Leben kaum weiter voneinander entfernt sein könnten.

Bei dem Einbrecher handelt es sich um einen “Cartonero”, der Papierabfälle sammelt um seine Familie ernähren zu können und der seinen Lebensstil nicht mehr erträgt. Er fungiert als Vertreter all der unsichtbaren Arbeiter, wie Taxi- oder Busfahrer, Reinigungskräfte, Hausmeister, etc. Sein Opfer, ein Mitglied der Oberschicht, führt von außen betrachtet ein perfektes Leben: er bewohnt ein wunderschön ausgestattetes, großes Haus, besitzt drei Autos und hat einen Arbeitsplatz, der ihm Macht verleiht und ihn ein bedeutendes Leben, umgeben von berühmten Persönlichkeiten und einflussreichen Politikern führen lässt.

Zu Beginn erzählt er von der Hundehütte im Garten, die er selbst auf Geheiß seiner Ehefrau gebaut hat und die nun sein ganzer Stolz und der Besitz ist, dessen Verlust ihn am meisten schmerzen würde. Ironischerweise starb der Hund, bevor sein Herrchen die Arbeit beendet hatte und seine Frau hat ihn inzwischen verlassen.

Sein Kontrahent hingegen lebt mit seiner Familie in einem Haus, von dem er behauptet, dass es kleiner als diese Hütte sei. Die Widrigkeiten, mit denen er täglich zu kämpfen hat, wie z.B. fehlende Heizung, Elektrizität, kein Auto und die Unmöglichkeit, seine Kinder weiter zur Schule zu schicken, werden von seinem Gegenpart als positiv gewertet oder als Nichtigkeiten abgetan. (Er könne für den Benzinverbrauch seiner drei Autos eine eigene Tankstelle gebrauchen – sein Peiniger solle doch froh sein, dass er keine solchen Ausgaben habe.) Trotz dieser naiven bis ignoranten Einwürfe weicht der Einbrecher nicht von seinem Plan ab. Er will einen simplen Tausch: das Haus des Wohlhabenden gegen sein eigenes; seine Autos, seinen Job – kurz: sein Leben gegen das des Anderen. Was zunächst wie ein unrealisierbares Vorhaben mit einseitigem Nutzen klingt, gewinnt schnell an Attraktivität für den Festgehaltenen – einen Mann, der dem permanenten Druck in seinem Leben nicht mehr standzuhalten glaubt. Er wohnt allein in einem Haus, das zu groß für ihn ist, gibt Unmengen aus, um sein Anwesen und seine Autos zu unterhalten und beginnt, den Cartonero um sein “einfaches” Leben zu beneiden. Durch seinen Beruf trägt er ständig so viel Verantwortung, dass er kaum zum Schlafen kommt und sich nur mit Tabletten von der ständigen Angst, zu versagen, bzw. einen Fehler zu begehen und alles zu verlieren, ablenken kann.

Die Leistung der zwei Protagonisten, die in so kurzer Zeit verschiedenste Emotionen durchleben und auf mehreren Ebenen die Positionen tauschen, ist bemerkenswert. Besonders die leidenschaftliche Performance von Pozzi überzeugt von der ersten bis zur letzten Minute und führt zu der Erkenntnis, dass jedes Schicksal seine guten und schlechten Seiten hat.

Letztendlich würde wohl niemand sein Leben gegen das eines Anderen tauschen wollen, ohne alle Details zu kennen. Und nicht immer beruhigt Geld – es kann ganz im Gegenteil zu permanenter Beunruhigung führen. Während man, wenn man nichts hat, auch nichts verlieren kann, was zu einer gewissen Sorglosigkeit und Unabhängigkeit führt. So ist auch für Löhle selbst Unabhängigkeit “wie Abhängigkeit, eine Frage der Perspektive. Was ist denn mit denen, um die sich keiner kümmert? Was ist denn mit den Vergessenen, Nichtvorhandenen, für die sich keiner interessiert? Ist das Desinteresse, das ihnen entgegenschlägt, die Ignoranz, die Abneigung auch, ist das nicht eigentlich der Sockel, auf dem aus der Abhängigkeit Unabhängigkeit wird?”

Am Montag, dem 16. August, wird der Zyklus mit “x cantidad de personas tienen puesto un jean azul” von Rebekka Kricheldorf – die anwesend sein wird – und Gerardo Naumann fortgesetzt. Die Vorstellungen werden am Montag und Dienstag um 20 Uhr im Espacio Callejón (Humahuaca 3759) stattfinden. Der Eintritt kostet $15, Reservierungen unter 4862-1167 werden empfohlen. Weitere Informationen finden sich im Blog des Theaters.

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