Lichtblicke
Auch kleine Dinge können glücklich machen
Von Friedbert W. Böhm
Es ist schon betrüblich, wie wir häufig von unserer Umwelt behandelt werden, die menschliche meine ich. Alle Werte hätte sie verfallen lassen, heißt es. Autofahren, Einkaufen, Bummeln, Tätigkeiten also, die doch die Lebensqualität ausmachen, sie bereiten wenig Freude heutzutage. Kaum tritt man aus seiner Tür, wird man angerempelt, hat fremde Musik oder Telefongespräche im Ohr, stolpert über Abfall oder lose Fliesen oder wird von einem Hundeführer vom Bürgersteig gejagt. Und wenn man sich gegen einen solchen ungezogenen Störenfried zu verteidigen versucht, wird dieser ausfällig statt einsichtig.
Dennoch hat die Situation ihr Gutes. Sie beleuchtet das Angenehme, das Positive. Da es außerordentlich ist, wird es wahrgenommen, strahlt und kann uns für Stunden oder Tage die übliche Misere vergessen lassen.
Wann haben Sie zuletzt ein freundliches Gesicht an einem Bankschalter erlebt, einen netten, hilfsbereiten Verkäufer, sind, falls überhaupt einmal, in einer Behörde bedient worden, bevor die Bürokraten damit fertig waren, Kaffee zu trinken und mit ihrer Freundin zu telefonieren? Ich streiche mir solche seltenen Gelegenheiten im Kalender an und die Erinnerung daran beschert mir dann Momente der glücklichen Erholung.
Gern denke ich etwa an einen sonnigen Nachmittag vor 27 Tagen zurück, als mir ein zuvorkommender Autofahrer, an der Kreuzung von links kommend, nicht die Vorfahrt nahm. Mit einer freundlichen Geste seiner rechten Hand – die Linke blieb auf dem Lenkrad – bedeutete er mir großzügig, dass ich getrost vorbeifahren könne.
Oder die weißhaarige Dame unlängst in der Apotheke. Als ich eingetreten war, gab es keinen anderen Kunden, so dass ich es für unnötig hielt, mir ein Nümmerchen aus dem Automaten zu besorgen. Gleich nach mir kam besagte Dame und zog eine Nummer. Als der Apotheker erschien, hatte ich mich – durch zahlreiche Erfahrungen bei ähnlichen Gelegenheiten belehrt – längst damit abgefunden, als Zweiter bedient zu werden. Da nun aber die Nummer der Dame aufgerufen wurde und diese gewahr wurde, dass ich nummernlos war, gab sie mir mit freundlichem Lächeln den Vortritt. Gerechtigkeit war ihr wichtiger als Recht. Für mich war damit der Rest des Tages gerettet.
Aber den Gipfel unerwarteten Glücksempfindens erlebte ich vorgestern in einem großen Kaufhaus. Ich brauchte ein Hemd. Zuerst stand ich eine Zeitlang unbeachtet herum, wie immer. Die sich mir schließlich erbarmende Verkäuferin war weder sehr kompetent, noch flink, noch außerordentlich freundlich, zwar recht jung, ohne jedoch bemerkenswert hübsch zu sein. Das Hemd, das sie mir schließlich verkaufte, war auch weder besonders elegant, noch qualitativ hochwertig, noch billig. Dennoch wird es mich jedes Mal beim Anziehen mit dankbarer Genugtuung an diese ganz aus der Regel fallende Verkäuferin erinnern:
Sie hatte mich GESIEZT!
Foto oben:
Wann haben Sie zum letzten Mal ein freundliches Lächeln gesehen?