Frühlingsmorgen

Ein paar Augenblicke im Paradies

Von Friedbert W. Böhm

Manchmal bringt der Frühling einen dieser Morgen, die an ein Paradies ohne Schlange erinnern.

Auf meiner nach Osten ausgerichteten Terrasse verbietet mir die verheißungsvoll blendende Sonne, unerquickliche Neuigkeiten aus der Zeitung zur Kenntnis zu nehmen. Sie erwärmt die ihre Blätter ausbrütende Linde von der mir abgewandten Seite. Aus meiner Sicht schneiden die tiefschwarzen Lindenäste den noch zartblauen Himmel in Tausende unendlicheckige Mosaiksteine, die in wiegende Bewegung geraten, wenn eine noch schläfrige Perlhalstaube oder ein vom frühen Singen schon müder Zorzal sich auf einem Zweig niederlässt.

Die nach Beschreibung eines hohen Bogens sich auf die Erde zuneigenden, trotz scharfer Zähne seidigen Blätter des Pampagrases glänzen im Gegenlicht wie Lametta. Geschäftig lädt sich ein Horneropärchen neben der übergelaufenen Vogelbadewanne Schlamm auf, um sein Ofennest auszubauen oder auszubessern. Der Zaunkönig, ebenfalls ein Frühaufsteher, wuselt zwischen Veilchenblättern, die versprechen, bald hellblau durchpunktet zu sein.

Bereits so dicht mit kardinalshutfarbigen Blüten besetzt, dass man ihre Blätter kaum noch erkennen kann, ist die robuste Tigre-Azalee, während ihre weißrosa Nachbarin – gewiss ein Zuchtgewächs – noch Mühe hat, die Pracht vom Boden her aufzubauen.

Ein grüner Kolibri erscheint erstmalig. Während sein bronzener Vetter auch im Winter zu sehen ist, scheint dieser die blumenarme Zeit im warmen Norden verbracht zu haben. Jetzt gibt es aber wieder allerlei zu nippen: die Sonne streicht gerade über die erste sich öffnende Akelei; eine Reihe gelb-orange protzender Clivien liegt noch im Schatten.

Unergiebig für den Kolibri sind die Gänseblümchen. Ich habe ihre Vorfahren in der Aktentasche aus Deutschland mitgebracht und Jahre gebraucht, den richtigen halbschattigen Platz für sie zu finden. Jetzt blühen sie aber einen Fuß hoch und so dicht, dass ihre Fleckchen zwei frischgewaschenen Kissen gleichen, welche Frau Holle unter der Zeder vergessen hat. In wenigen Wochen wird die immer noch ungewohnte Sonnenflut sie auf Zwergenmaß stutzen.

Dann werden aber unsere Schildkröten geschäftig sein. Das Weibchen – es heißt natürlich “Manuelita” – wird sich vielleicht schon heute Nachmittag ans Licht trauen. Ihr Mann – “Kraut” – ist verfrorener; mit ihm ist frühestens in einem Monat zu rechnen.

Nun steht die Sonne hoch genug, um mich nicht mehr zu blenden. Ich lasse das Paradies und stürze mich in die raue Nachrichtenwirklichkeit.

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