Form ohne Inhalt? (2002)
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Jorge Macchis Ausstellung “Fuegos de artificio”
Von Susanne Franz
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Die Blümchentapete, deren niedliches Muster sich so beruhigend immer wiederholt, kracht plötzlich von der Wand. Da liegt ein ganz normales, aus einer Kladde gerissenes Blatt mit ausgestanzten Löchern am Rand. Und plötzlich purzeln diese Löcher von oben quer über das Blatt zu Boden.
Und die in ernsthaften Zeitungen in dicken Anführungszeichen zitierten, ach so gewichtigen Worte bedeutender Persönlichkeiten? Die Zitate sind herausgeschnitten, zwischen den Anführungszeichen befindet sich ein Loch, die buchstäblich leeren Phrasen sind mit Stecknadeln flüchtig auf einen weißen Hintergrund gepinnt, hinter Glas “festgehalten”, nichts sagend.
Was ist unser Körper? Zum Beispiel ein Netzwerk von Arterien, eine komplizierte Konstruktion empfindlicher Schädelpartien, Klappern und Kammern der lebenspendenden Pumpe Herz. Der Künstler Jorge Macchi zeigt uns nur die Erklärungen aus dem Lehrbuch, die Pfeile, die die nicht dargestellten Körperpartien anzeigen, und die Namen dieser Körperteile, die doch Teile vom Menschen sind, von uns, von dir und mir.
Worin äußert sich unsere physische Identität in allem, mit dem wir uns umgeben, für das wir Worte gefunden haben? Haben sich diese Begriffe nicht längst verselbständigt und ihren Sinn verloren? Unsere Spuren blähen sich auf und zerplatzen wie Feuerwerk in der Luft, die Funken unserer Identität glühen kurz auf und verlöschen.
Trügerisch die Realität, die Illusion von Sicherheit, eine “begreifbare” Welt. Wagemutig, skurril und genial ein Künstler wie Macchi, der Zustände “jenseits” der Erklärungen zu zeigen versteht, indem er von den Dingen nur die Form stehen lässt, ihnen den Inhalt aber raubt.
Erschienen im “Argentinischen Tageblatt” am 11.5.2002.