Trauer um María Elena Walsh

Die Schriftstellerin und Verfasserin und Sängerin unvergesslicher Kinderlieder starb am Montag

Von Susanne Franz

Es gibt wohl keinen Argentinier, der nicht María Elena Walshs berühmtestes Lied “Manuelita” über eine Schildkröte kennt, die eines Tages einfach aus dem Ort Pehuajó verschwindet und nach Paris geht. In Manuelitas “Heimatort” in der Provinz Buenos Aires steht ein Manuelita-Denkmal, und im Jahr 2000 wurde ein Animationsfilm rund um die berühmteste argentinische Schildkröte gedreht. Walshs Roman “Dailan Kifki” über einen Elefanten, der eines Tages mit einem Zettel vor der Tür der Protagonistin (deren Namen man nie erfährt) steht, hat die Phantasie von Millionen (nicht nur) argentinischer Kinder beflügelt. Das Werk von 1966 kann durchaus auf einer Stufe mit Alice im Wunderland von Lewis Carroll gestellt werden.

Sie war Schriftstellerin, Dichterin, Sängerin, Komponistin, Drehbuchschreiberin für Kino, Fernsehen und Theater, Intellektuelle und politische Aktivistin, aber unvergesslich wird sie als Kinderbuchautorin und Verfasserin und Sängerin wunderbar phantasievoller Kinderlieder bleiben: Am Montag ist in Buenos Aires María Elena Walsh gestorben. Sie wurde 80 Jahre alt und hatte fast 30 Jahre lang an Knochenkrebs gelitten, die letzten Lebensjahre war sie an den Rollstuhl gefesselt.

Bis Montagnacht war Walsh im Gebäude des argentinischen Schriftstellerverbandes Sadaic aufgebahrt, wo viele Persönlichkeiten aus Kultur und Politik, aber auch Großeltern mit ihren Enkeln Abschied von der viel geliebten Künstlerin nahmen. Auch Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner kam am späten Abend persönlich, um María Elena die letzte Ehre zu erweisen. Am Dienstagvormittag wurden Walshs Reste auf dem Friedhof Chacarita eingeäschert. In den Print- und Onlinemedien und im Fernsehen war Walshs Tod eine der wichtigsten Meldungen des Wochenbeginns, und in Buenos Aires herrschte eine spürbare Trauer. Für viele Eltern war es eine schwere Aufgabe, ihren Kindern den Tod María Elena Walshs begreiflich zu machen.

“María Elena hat die Kinderliteratur ganz Lateinamerikas revolutioniert”, sagte ihre Verlegerin María Fernanda Maquieira in der spanischen Tageszeitung “El País” vom Dienstag. “Sie hat die Kindheit aus einer neuen Perspektive betrachtet, nicht herablassend, sondern auf respektvolle und intelligente Weise.” Maquieira hat bei Alfaguara Walshs Gesamtwerk herausgegeben, sowohl die Kinderliteratur als auch ihre Werke für Erwachsene. “Walshs Kinderbücher haben eine herausragende literarische Qualität”, urteilt die Expertin weiter. “Wie kaum eine andere war sie in der Lage, klassische und volkstümliche Literatur miteinander zu kombinieren.”

María Elena Walsh wurde am 1. Februar 1930 in Ramos Mejía in der Provinz Buenos Aires als Tochter eines irischen Bahnarbeiters und einer Argentinierin mit andalusischen Wurzeln geboren. In einer an ihre jungen Leser gerichteten Autobiografie beschreibt sie ihre Kindheit als idyllisch, sie wuchs in einer gebildeten Familie umgeben von Büchern und Musik auf. Schon mit 17 veröffentlichte sie ihren ersten Gedichtband, “Otoño imperdonable”, der von bedeutenden Dichtern wie Juan Ramón Jiménez und Jorge Luis Borges gelobt wurde. Sie studierte Kunst, Gesang und Theater und gründete Anfang der 50er Jahre mit Leda Valladares das Folklore-Duo Leda y María. Beide Künstlerinnen lebte einige Jahre in Paris und kehrten 1956 nach Argentinien zurück, wo Walsh noch bis in die 60er Jahre mit Valladares zusammenarbeitete. 1962 veröffentlichte das Duo “Canciones para Mirar” und 1963 brachten Leda y María vor ihrer Auflösung noch “Doña Disparate” und “Bambuco” auf die Bühne. Walshs gesamte Produktion für Kinder (Bücher, Theaterstücke, Lieder) entstand in den 60er Jahren, darunter ihre Klassiker “Zoo Loco” (1964), “El reino del revés” (1965), “Dailan Kifki” (1966), “Cuentopos de Gulubú” (1966) und “Versos tradicionales para cebollitas” (1967).

Später widmete sich die Autorin wieder Werken für Erwachsene. Im Jahr 2008 veröffentlichte sie den autobiographischen Roman “Fantasmas en el parque”, in dem sie erstmals auf ihre Homosexualität zu sprechen kam. Walsh lebte die letzten 30 Jahre mit der argentinischen Fotografin Sara Facio zusammen. Politisch äußerte sie sich als kritische Stimme gegen die Zensur der Perón-Zeit in den 50er Jahren und der Militärdiktatur in den 70er Jahren; unter Präsident Raúl Alfonsín war sie von 1985 bis 1989 im Beirat zur Wiederherstellung der Demokratie tätig.

María Elena Walsh war Ehrenbürgerin der Stadt Buenos Aires (1985), die Universität Córdoba verlieh ihr 1990 die Ehrendoktorwürde. 1991 kam sie auf die Liste der “Highly Commended” des Hans Christian Andersen-Literaturpreises – das bedeutet, dass sie nach fünf Jahren noch einmal hätte nominiert werden können, was aber nicht geschah. María Elena Walsh hätte den vom IBBY (International Board on Books for Young People) vergebenen “Nobelpreis der Literatur für Kleine” sicher verdient gehabt, der jedoch nur an lebende Autoren verliehen wird. Ihre Werke sind ins Englische, Französische, Italienische, Schwedische, Hebräische, Dänische und Guaraní übersetzt worden.

Vergangenes Jahr war María Elena Walsh die zweite herausragende Persönlichkeit Argentiniens, die mit einer der 200 Bicentenario-Medaillen geehrt wurden, die die Stadt Buenos Aires anlässlich der 200-Jahrfeiern des Landes verlieh. Im Februar 2010 wurde sie in Spanien mit der “Medalla de Oro al Mérito en las Bellas Artes” (Goldmedaille für die Verdienste im Bereich der Schönen Künste) des spanischen Ministerrates ausgezeichnet und mit einer Hommage im Rahmen des I. Iberoamerikanischen Kinder- und Jugendliteraturkongresses in Chile geehrt.

Umfangreiche Informationen über María Elena Walshs Leben und Werk finden Sie in der Online-Zeitschrift für Kinder und Jugendbuchliteratur Imaginaria.

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