Spannendes Spiel mit Zeit und Raum

Luis Garays Tanzstück “Maneries” stellt die Wahrnehmung auf die Probe

Von Karlotta Bahnsen

War da nicht eine Bewegung? Geht es schon los? Fast im Dunkeln liegt die Bühne zu Beginn des Stücks für eine Tänzerin. Fast. Langsam gewöhnt sich das Auge, oder wird es tatsächlich heller? Allmählich werden die Konturen des Körpers der Tänzerin Florencia Vecino erahnbar. Ihre Haltung scheint sich plötzlich verändert zu haben. Ein elektronisches Knistern erfüllt den Raum und verstärkt die Spannung und irritierende Langsamkeit der ersten Minuten des Stückes. Was dann folgt, ist eine Choreographie, die der jungen Tänzerin auf den Leib geschrieben zu sein scheint und unablässig mit seinen Grenzen sowie mit der Wahnehmung des Publikums spielt.

Der in Buenos Aires lebende Choreograph Luis Garay untersucht in “Maneries” Bewegung und Zeitstrukturen durch Wiederholung, extreme Verlangsamung oder Beschleunigung. Dabei kommt das Stück mit den grundlegendsten Elementen der darstellenden Kunst aus: Körper, Licht und Klang im Raum. In Maneries gibt es weder Kostüm noch Objekt noch Text noch Video und doch, oder vielleicht gerade deshalb, entsteht ein ästhetischer Raum, in dem eigene, dem Publikum fremde Regeln zu herrschen scheinen.

Aus der Reduktion, Erprobung und zeitlichen Ausbreitung von einzelnen Bewegungen bezieht das Stück seine Kraft, wird der (nackte) Körper in den Mittelpunkt gestellt und der Prozess der Bewegung selbst reflektiert. Die präzise gesetzten elektronischen Klänge des Musikers Mauro AP fungieren mal als strikte Rhythmusmaschine, mal lassen sie den Atem der Tänzerin hörbar werden und verweisen so wieder auf den Körper und dessen Anstrengung.

Das Stück hat den Charakter des intimen Moments einer Probe. Dadurch bleibt es offen und wirft Fragen auf. Wie langsam kann eine Bewegung ausgeführt werden? Wo beginnt und wo endet sie? Was kann der Körper im Raum? Wieviel Zeit ist schon vergangen? Wo ist Beginn, wo das Ende? Wo die Grenze von privat zu öffentlich, von der alltäglichen Bewegung zum Tanz? Die Schönheit, die dieser Körperstudie innewohnt, ist erstaunlich und fasziniert bereits seit 2000 Publikum und Kritik in Südamerika, den USA und Europa.

Wer Luis Garay & Co. bei ihrer poetischen Suche nach neuen Maßstäben für Ästhetik zusehen möchte und sich auf ungewohnte Wahrnehmungspfade begeben will, kann dies in Buenos Aires momentan gleich mit zwei Wiederaufnahmen: “Maneries”, sonntags 18 Uhr, im Camarín de las Musas, Mario Bravo 960, und “Ouroboro”, donnerstags 22 Uhr, im Portón de Sánchez, Sánchez de Bustamante 1034.

  • “Maneries”
  • Regie/Choreographie: Luis Garay
  • Darstellerin: Florencia Vecino
  • Musik: Mauro AP
  • Licht: Eduardo Maggiolo

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