Von Stille keine Spur

“La niña del enfermero” – Eine choreographische Erzählung von Carlos Trunsky zu John Cages “Four Walls” eröffnet die neue Spielzeit im Centro de Experimentación (CETC) des Teatro Colón

Von Karlotta Bahnsen

Und wenn die Natur nur eine Erfindung ist? Der Untertitel auf dem Programmheft weist bereits darauf hin, dass dieses Stück Fragen aufwirft. Essentielle Fragen, so heißt es weiter, die, eingeschlossen zwischen vier Wänden, eine mächtige und expansive Kraft entwickeln sollen. In Carlos Trunskys Tanztheaterstück geht es offensichtlich um Homosexualität, Inzest, Krankheit, Liebe, Geburt und Tod. Alles in einem Stück und das zu einer Komposition John Cages, die sich der Reduktion verschreibt, in der sich der Komponist selbst auf die Nutzung der weißen Tasten des Klaviers beschränkte.

Die Themen von Cages Musik, die in einer der ersten Zusammenarbeiten mit dem Choreographen Merce Cunningham entstand, sind Stille, Wiederholung und Gradlinigkeit. In dem Versuch, Cages Stück für Tanztheater szenisch umzusetzen, wird allerdings den Parametern, welche die Musik ausmachen, wenig Beachtung geschenkt. Zwar lässt auch Trunsky Teile der Choreographie wiederholen, von Stille oder formaler Abstraktion jedoch keine Spur. Zu überdeutlich ist das theatralische Leiden des Kranken und seines Pflegers, der durch die plumpe Aufforderung “Fuck me!” gleich zu Beginn direkt auf seine bisher versteckte Homosexualität hingewiesen wird und diese nach kurzer Tanzeinlage auch sofort mit seinem Patienten auslebt. Auch die kindliche Aufgewecktheit und das “Babygebrabbel” der plötzlich geborenen Tochter wirken übertrieben und sind bei der Leichtigkeit, mit der María Kuhmichel jegliche Hebefigur und das Vater-Tochter Pas de Deux meistert völlig unnötig.

Die theatralische Falle der Repräsentation steht beim Tanztheater stets offen und birgt die Gefahr, dem Tanz oder der Musik als dramaturgische Mittel nicht genug Raum zu lassen, sie als Zeichen nicht ernst genug zu nehmen. Es scheint, als würde der Versuch einer choreographischen Geschichte an der selbst auferlegten Aufgabe scheitern. Höhepunkte dieses Scheitern sind der geleuchtete Heiligenschein im Moment des Todes des Patienten (Gabo Ferro) und dessen Verstauung in einer Schublade wie im Leichenschauhaus unter der Bühne samt Zettel am großen Zeh. Die Musical-haften Züge, die das Stück durch das konkrete Schauspiel annimmt, stehen Cages musikalischem Konzept doch ein wenig zu kontrastierend gegenüber und werden seiner Komplexität nicht gerecht.

Trunskys Choreographenmärchen wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem vom Clarín als Tanztheaterstück des Jahres 2009, und bietet dem CETC als Auftakt der neuen Spielzeit allein durch sein Staraufgebot einen sicheren Erfolg. Neben Haydée Schvartz am Klavier stehen Leandro Tolosa, Maria Kuhmichel und Gabo Ferro auf der Bühne. Das Können der einzelnen Künstler ist offensichtlich und macht “Four Walls – La niña del enfermero” sehenswert. Die Stimme Gabo Ferros erklingt in für einen Mann ungewöhnlich klaren Höhen, María Kuhmichel tanzt mit technischer Perfektion und kindlicher Flexibilität, und auch Haydée Schvartz ist mit Cages Klavierstücken ganz in ihrem Element.

Die essentiellen Fragen, die das Stück aufwerfen will, werden allerdings auf der Bühne schon beantwortet. Offen bleibt die Frage nach dem Warum. Warum die Verbindung von Cages Musik und Trunskys choreographischer Erzählung? Fruchtbar ist die Fusion für die künstlerische Einordnung, Musik von John Cage einzusetzen scheint immer noch zu reichen, ein Stück besonders ausgefallen erscheinen zu lassen.

  • “Four Walls – La niña del enfermero”
  • CETC
  • Weitere Vorstellungen: 27.3., 17 Uhr, 31.3. und 1.4., 20.30 Uhr, 3.4., 17 Uhr

Un comentario sobre “Von Stille keine Spur”

  1. Kirsten dice:

    Ein Denkfehler: es geht nicht um zwei Männer und Homosexualität. Der kranke Mann tanzt und singt (!!) eine kranke Frau.
    Gerade zu Cage gehört Abstraktion.


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