Der Kino-Wahn ist im Endspurt
Gut besuchtes 13. Bafici-Filmfestival endet morgen
Von Isabelle Opel
Die meisten, die sich seit dem 6. April ins Abasto Shopping Center, Hauptveranstaltungsort des Bafici-Filmfestivals, begeben haben, haben sich schnell vom bunten Treiben mitreißen lassen und sich mit fröhlichem Eifer ins Vergnügen gestürzt. Das Programm durchstöbern, interessante Filme ankreuzen, die Seiten umknicken oder eine Liste schreiben: Jeder hat so seine eigene Technik, sich durch den Berg von mehr als 430 Filmen, Sonderveranstaltungen und vielem mehr zu wühlen, mit dem Ergebnis, sich einen Durchblick zu verschaffen.
Die freundlichen Mitarbeiter an der Information beantworten auch noch zum fünften Mal mit einem Lächeln dieselbe Frage und die Popcorn-Maschine wird schon früh am Morgen hochgefahren, damit es dem sich im Bafici-Rausch befindenden Kinobesucher auch an nichts fehlt. Auch an den 10 anderen Veranstaltungsorten herrscht großer Trubel, Menschenandrang und Vorfreude. Ja, man kann fast sagen, dass für zwei Wochen der Bafici-Virus in Buenos Aires ausgebrochen ist, wie jedes Jahr, und jedes Jahr breitet er sich mehr aus – das Fest wird immer größer und bedeutender.
Bafici bedeutet, live dabei zu sein, Neues, Kurioses, Abstraktes zu sehen und zu entdecken, die Möglichkeit zu haben, nach dem Film Fragen an den Regisseur zu stellen. So wird der Kinobesuch nicht zum passiven Konsum, sondern zum aktiven Erlebnis: Man kann dabei sein und sich einmischen. Regisseure aus aller Herren Länder stecken voller Ideen, und das Bafici ist geradezu ideal für Wagnisse und regt Filmemacher dazu an, sich selbst zu übertreffen, Neues auszutesten, sich mit anderen zu messen, sich kritisch zu betrachten und – Spaß dabei zu haben.
Die deutschsprachigen Filme waren sehr gut besucht. Lawrence Tooley und Loretta Pflaum, Regisseur und Hauptdarstellerin des Films “Headshots”, beantworteten nach dem Film Fragen der Kinobesucher. Tooley kam vor über zehn Jahren von Texas nach Deutschland und hat schon zahlreiche Filme gedreht, allerdings ist “Headshots” seine längste Produktion und sein erster Spielfilm. Loretta Pflaum scheint absolut mit ihrer Filmfigur verschmolzen, was vielleicht auch daran liegt, dass die gebürtige Österreicherin viel Erfahrung als Hauptdarstellerin in Filmen sammeln konnte. Dem in Berlin lebenden Lawrence Tooley merkte man seine Freude, für das Bafici ausgewählt worden zu sein, durchaus an. Ebenso war er auch stolz auf seinen Film und erzählte dem Argentinischen Tageblatt am Freitagabend des 8. April nach der 22-Uhr-Vorstellung, dass sie mit “Headshots” auch auf dem internationalen Filmfest in Rotterdam nominiert sind und sich freuen, auch dort bald anwesend sein zu dürfen. “Headshots” ist ein Psychodrama um das Leben einiger Mittdreißiger in der Modebranche. Die Geschichte entfaltet sich, als die Hauptfigur Marianne entdeckt, dass sie schwanger ist. Nun gibt es auf einmal eine Alternative zum Wettrennen um die besten Photoshooting-Deals, deren Zynismus im Film auf den Punkt gebracht wird.
Auch der 48-jährige Schweizer Thomas Imbach war zum Bafici eingeladen und brillierte gleich mit vier Filmen. Sein neuester Streifen “Day is Done” in der Sektion “Cine del futuro” zeigt den Blick aus einem Fenster über die Stadt Zürich. Ein rauchender Schlot reckt sich in den Himmel. Unten rattern Züge vorbei. Der Mann hinter der Kamera steht am Fenster seines Ateliers und sucht sein Bild. Er filmt bei Tag und bei Nacht, bei Regen und Schnee. Auf seinem Anrufbeantworter hören wir Stimmen. Sie erzählen vom schönen Wetter in den Ferien, sie gratulieren dem Mann zum Geburtstag. Der Vater stirbt, ein Kind wird geboren, eine junge Familie fällt auseinander. Die Jahre vergehen.
“Dieser Film unterscheidet sich grundlegend von meinen vorherigen”, sagt Imbach, neben Bafici-Artdirektor Sergio Wolf sitzend, am Montag in der Pressekonferenz. “Dieser Film ist für mich eher sowas wie ein Geschenk”, verrät der Regisseur und fährt fort: “Mir hat der Blick aus meinem Fenster gefallen und ich fing an, die Bilder mit meiner Kamera einzufangen. Der Film ist das Ergebnis von Filmmaterial aus 15 Jahren, angefangen im Jahr 1988. Ich hatte keinen Druck, diesen Film fertigzustellen. Anfangs war gar nicht klar, dass daraus ein Film werden soll. Das macht ihn so besonders und anders.” Er beschreibt es als “persönliche Besessenheit”, die Welt vor seinem Fenster zu fotografieren und Momente einzufangen. Die Musik zum Film sind keine neuen Liedkreationen, aber sie wurden dennoch extra für den Film aufgenommen und von ein und demselben Sänger gesungen, darauf legte Imbach Wert. Bei der Auswahl von Musik und Bildern war ihm wichtig, dass diese den Inhalt der Anrufbeantworter-Aufzeichnungen widerspiegeln. “Die Musik ist auch deshalb wichtig, da man den Protagonisten nie zu Gesicht bekommt. Er befindet sich stets hinter der Kamera, und mit Hilfe der Musiktexte konnten wir ihm eine Stimme geben”, so Imbach weiter. Weiter erzählt der Filmemacher, dass er “zufällig auf ein Filmthema” stoße und aus der Intuition heraus mit einem neuen Film beginne und “niemals strategisch” vorgehe. So las er eines morgens in der Zeitung, dass die Grünen-Politikerin Petra Kelly von ihrem Lebensgefährten erschossen wurde, was ihn zu seinem 1992 erschienenen Film “Happiness is a warm gun”, der auch auf dem diesjährigen Bafici-Festival gezeigt wurde, anregte.
Ein weiterer Film, der mit großem Publikumsapplaus belohnt wurde, ist “At Ellen’s Age” von Pia Marais. Der im internationalen Wettbewerb teilnehmende Film handelt von der Flugbegleiterin Ellen, die sich plötzlich mit einigen Veränderungen in ihrem Leben konfrontiert sieht: Alles, was ihr bisher ein Gefühl von Sicherheit gab, bricht auseinander, als sie erfährt, dass ihr Lebensgefährte mit einer anderen Frau ein Kind erwartet.
Auch “Nuremberg: Its Lesson for Today” von Sandra Schulberg war schnell ausverkauft und bekam gute Kritiken. Am Sonntag wurde der Film in der Fundación Proa zum ersten Mal im Rahmen des Bafici gezeigt. Der Film ist eine restaurierte Fassung des Originals von Sandras Vater Stuart Schulberg aus dem Jahre 1948 über den Prozess des Internationalen Militärgerichtshofs in Nürnberg gegen die Hauptkriegsverbrecher vom 14. November 1945 bis zum 1. Oktober 1946. Er entstand 1948 als Aufklärungs- und Lehrfilm im Auftrag des Office of Military Government for Germany, United States (OMGUS). 1948 wurde der Film als Propaganda für die Entnazifizierunsgskampagne in Deutschland gezeigt.
Festival-Infos hier.
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Thomas Imbach (li.) liebt Herausforderungen und war mit vier Filmen eingeladen.