Deutschland auf der Buchmesse
Diedrich Diederichsen war beim “Día de Alemania” Gast
Von Susanne Franz
Bewusstseinserweiterung beim “Deutschen Tag”: Auf der diesjährigen 37. Internationalen Buchmesse von Buenos Aires (20. April bis 9. Mai) stellte am Sonntag auf Einladung des Goethe-Instituts Buenos Aires, der Frankfurter Buchmesse und der Deutschen Botschaft der deutsche Musik- und Kunstkritiker Diedrich Diederichsen unter dem Thema “Gegenkulturen und Utopien in Kunst und Musik” sein jüngstes in Argentinien veröffentlichtes Buch, den Essayband “Psicodelia y ready-made” (Adriana Hidalgo-Verlag) vor. Durch die Veranstaltung führte der argentinische Musikkritiker Pablo Schanton, mit auf dem Podium saß auch Cecilia Pavón, Diederichsens argentinische Lektorin und Übersetzerin.
Der in Hamburg geborene 53-jährige Kulturwissenschaftler und Journalist ist laut einer kurzen biografischen Einführung von Schanton “à la Wikipedia” zur Zeit als Uniprofessor tätig. Er gilt als einer der wichtigsten deutschen Pop-Theoretiker.
“Unter LSD können wir alle Duchamp sein”, so begann der ganz im Sinne des neuen Diederichsen-Bandes sehr essay-haft gehaltene 1 ½-stündige Trip: Diederichsen grenzte Duchamps Ready-made und die von Duchamp angestoßene Konzeptkunst als “intellektuellen Prozess” von der psychedelischen Erfahrung als “Sinneserfahrung” ab. Während in der Konzeptkunst ein Alltagsgegenstand aus dem Kontext genommen und zum Kunstwerk erklärt werde, würden im Rahmen der psychedelischen Erfahrung Alltagsgegenstände an-ders wahrgenommen. “Wir sehen die Absurdität der Ware, deshalb lachen wir”, beschreibt Diederichsen die psychedelische Erfahrung. Im Grunde handele es sich um eine Warenkritik, und deshalb habe die Gegenkultur der 60er Jahre bis in die heutige Zeit auch so viel Erfolg, sagt Diederichsen.
Dieser Punkt ist dem Kritiker wichtig, er kommt auch später darauf zurück, dass der Zusammenhang zwischen Warenkritik und LSD nie thematisiert worden sei: “Heute ist nur von der politischen Seite der 60er oder von den Hippies die Rede, deshalb erscheint es mir bedeutsam, auf den Zusammenhang hinzuweisen.”
Nach einem Ausflug in die Protokolle gemeinsamer Drogenversuche von Walter Benjamin und Ernst Bloch, die Diederichsen als kritische Deutung der Welt und der Waren bezeichnet, und den Texten, die Ernst Jünger unter Drogen schrieb (die laut Diederichsen eine konservative Deutung der Welt darstellen) regte Pablo Schanton eine Diskussion darüber an, warum Rock und Pop wahre “Ready-made-Maschinen” (gewesen) seien. “Rock und Pop bringen die Begeisterung darüber zum Ausdruck, dass die Kultur schon zur Verfügung steht – und zugleich die Melancholie angesichts genau dieses Umstands”, bemerkt Diederichsen dazu. So habe z.B. Bob Dylan nostalgisch getextet, alle guten Bücher seien bereits geschrieben worden, und dann habe er sich gleichzeitig durch die Nennung der Namen berühmter Schriftsteller bei der bereits vorhandenen Kultur bedient.
Diederichsen weiter: “Ende der 60er, Anfang der 70er wurde jedoch deutlich, dass die Verfügung über die bereits vorhandenen Dinge nicht zu einer wahren Veränderung führte.” Also habe es Versuche gegeben, die Kunst durch performatische Aspekte wieder zu dramatisieren. “So kam langweilige, alte Avantgarde wieder auf”, fährt Diederichsen fort. Erst der Punk habe dies geändert durch die Erkenntnis, dass man sich in das Problem, dass alles schon fertig vorhanden ist, “hineinbohren” müsse.
Nach einem Exkurs in die Antipsychiatrie kam Cecilia Pavón auf die sozialen Utopien des Internets zu sprechen. Laut Diederichsen haben diese mit den Werten und Erfolgen der 60er Jahre zu tun, die Akzeptanz dieser Werte sei durch das Web breiter geworden und erreiche immer mehr Leute. Das Problem seien jedoch die “Verwertung von Lebendigkeit” und das Fehlen von Warenkritik im Netz, was von den Utopisten immer übersehen werde. Das Erbe der 60er existiere nur zur Hälfte, die andere Hälfte sei verschwunden.
Das Thema Internet interessierte vor allem auch die jungen Fans im Publikum, die Diederichsen im Anschluss noch ein paar Fragen stellen durften. Was kommt an Neuem, wie verändert sich die Gesellschaft?, wollten die jungen Leute wissen. “Die große Ausweitung gegenkultureller Ideen durch das Internet hat dazu geführt, dass der Erfolg dieser Ideen selbst waren-artige Züge annimmt”, fasste Diederichsen zusammen. Die Frage sei jetzt: “Welche Vermarktung dieser Art von Lebendigkeit wird es geben?” Heute gebe es immer mehr Subjekte, die, mit sich alleine, in ständigem Kontakt zu anderen stünden, die “nicht ko-präsent” seien. Diederichsen sieht die Zukunft so, dass “Ko-Präsenz immer stärker über das Internet gesteuert werden wird” (durch Verabredungen zu Performances, spontane Partys etc.). “Welches Format, welchen Standard wird die Kulturindustrie darum herum bauen?” Und: “Wie reagiert man darauf?” Das seien die Fragen der Zukunft, so Diederichsen. Ob die Jugend dann noch “weed, whites and wine” brauchen wird, um darauf vorbereitet zu sein, ließ der Kritiker offen.
Der Deutsche Stand
Wer am Deutschen Stand mit der Nummer 1923 im Gelben Pavillon (12. Straße Ecke 31.) zur Weiterbildung eines der Bücher von Diedrich Diederichsen oder das hoch gelobte “Rabenliebe” von Peter Wawerzinek oder vielleicht zur Belustigung “Hummeldumm” von Tommy Jaud kaufen möchte, wird enttäuscht: Die Bücher am Stand sind nur zum Anschauen da. Man kann sie lediglich online bestellen (wobei dann die Versandkosten noch hinzukommen). So bleibt es nach dem Durchblättern einiger Comics und dem Bewundern der als “Schönste Bücher Deutschlands” ausgezeichneten Buchcover bei einer kurzen Visite.