Alles nur ein Spiel

| Film / Cine | 9/5/11 | 0 comentarios

“El gato desaparece” von Carlos Sorín

Von Anna Weber

Eigentlich wollte er einen Film über den Wahnsinn drehen. Doch dann stieß Carlos Sorín (“Historias mínimas”, 2002) auf die Aussage Alfred Hitchcocks, mit “Psycho” sei kein Film über den Wahnsinn, sondern ein Film über das Kino selbst entstanden. Und so ließ Sorín in seinem neuen Film “El gato desaparece” den Wahnsinn beiseite und setzte sich stattdessen das Ziel, mit allen filmischen Mitteln eine möglichst große Spannung im Zuschauer zu erzeugen.

Es beginnt harmlos: Eine Gruppe von gelangweilten Ärzten berät den Fall des Universitätsprofessors Luis (Luis Luque), der während eines Nervenzusammenbruchs einen Arbeitskollegen angegriffen hatte und daraufhin interniert worden war. Man beschließt, Luis wieder in den Alltag zu entlassen, jedoch nicht, ohne dass einer der Ärzte, in einem Anflug von Zweifel, die zentrale Frage des Films stellt: “Ist er denn schon gesund?”

Zweifel an Luis’ Genesung hegt auch dessen Ehefrau Beatriz (Beatriz Spelzini), die überall Anzeichen für einen möglichen Rückfall ihres Mannes zu sehen beginnt. Sogar der Kater Donatello scheint Luis zu misstrauen und verschwindet spurlos.

Der Betrachter, der Luis’ Verhalten aus der Perspektive von Beatriz wahrnimmt, wird nach und nach in dieses Spiel des Zweifels verwickelt. Er teilt Beatriz’ Anspannung, wenn Luis mit dem Küchenmesser schwungvoll rohen Fisch filetiert, und zuckt zusammen, wenn Luis’ Hand plötzlich aus dem Nichts auftaucht, um Beatriz zu berühren. Kaum schafft die Kamera jedoch Distanz, so fragt man sich, ob nicht vielleicht Beatriz selbst wahnsinnig geworden und alles nur Einbildung ist.

Nicht nur Beatriz’ Realität scheint ihr langsam zu entgleiten, auch dem Betrachter wird jeglicher Halt entzogen, da selbst vertraute Gegenstände und Geräusche nicht mehr sind, was sie einmal schienen. Mit Hilfe von Detailaufnahmen lässt Sorín Alltäglichkeiten anschwellen und verleiht einer Gabel, die mit grauenhafter Präzision ein Salatblatt faltet, eine ungeahnte Bedrohlichkeit.

Anstelle von Musik setzt Sorín oft verstärkte Alltagsgeräusche ein, und so erhält das Knacken des Salatblattes eine gänzlich unerwartete Brutalität. Es ist, als würde der Regisseur in diesen Details beiläufig eine Wahrheit aufblitzen lassen, die für den Betrachter nie ganz fassbar wird, die jedoch eine ständige Bedrohung darstellt.

Dieselbe Bedrohung schimmert im Gewitterlicht auf modisch roten Badezimmerfliesen, huscht über schattenzerschnittene Gesichter und drängt sich zwischen Luis und Beatriz, so dass deren Gesten und Worte stets ein klein wenig verschoben wirken. Es entsteht eine gespenstische Einsamkeit, die sogleich wieder durch Humor aufgebrochen wird, der dem Betrachter immer wieder eine kurze Pause gönnt. Erst ganz zum Schluss wird das Rätsel um Luis’ Genesung endlich aufgelöst – begleitet von wahnsinnigem Gelächter.

Es ist ein wohldosiertes Schaudern, das Carlos Sorín dem Betrachter verabreicht, und hier scheint auch das Geheimnis der Spannung zu liegen: Sie entsteht nicht aus dem Spiel mit den filmischen Mitteln, sondern aus dem Spiel mit dem Betrachter.

  • “El gato desaparece” – Argentinien/Spanien 2011
  • 90 Min.
  • Ab 13.
  • Buch und Regie: Carlos Sorín.
  • Fotografie: Julián Apezteguía.
  • Schnitt: Mohamed Rajad.
  • Musik: Nicolás Sorín.
  • Sound: José Luis Díaz.
  • Mit Luis Luque, Beatriz Spelzini, María Abadi, Norma Argentina, Hugo Sigman.

Escriba un comentario