Feinkost und Fischgestank

20. Kunstmesse arteBA wurde am Mittwochabend eröffnet

Von Susanne Franz

Eine über zwei Meter lange Halskette hängt an der Wand der Galerie Elsi del Río, als habe eine Riesin sie beim Nachhausekommen abgelegt – die Künstlerin Genoveva Fernández hat mit ihrem Werk die Fläche verlassen und den Raum erobert. Bei Mara-La Ruche locken Fotografien aus der Serie “Sueños” von Grete Stern und komplexe Schwarz-Weiß-Kompositionen des großartigen Eduardo Stupía, Agalma bietet Gemälde von Testa, Noé, Deira und Schvartz. Am Mittwochabend wurde die 20. Ausgabe der Kunstmesse arteBA glanzvoll eröffnet.

Bürgermeister Mauricio Macri, der sich um seine Wiederwahl in der Hauptstadt bemüht, nutzte das Rampenlicht und durchschnitt gemeinsam mit anderen Würdenträgern das blau-weiße Band, um damit den Startschuss für die Jubiläumsmesse zu geben. Sektkorken knallten allüberall, und die Gänge im Grünen und Blauen Pavillon des Messegeländes La Rural füllten sich derart mit Menschen, dass kaum noch ein Durchkommen war.

Bis zur Halbzeit an diesem Samstag herrschte allgemeine Zufriedenheit unter den Galeristen. Die Verkäufe lassen sich gut an, und auch Sammler und interessierte Kunstliebhaber äußern sich positiv über die Qualität der Messe. Besonders viele rote Punkte glänzen in der Galerie Holz im Bereich des Stands, der dem Künstler Milo Lockett mit seinen bunten naiven Werken vorbehalten ist. Überhaupt haben viele Sammler erst einmal bei den “consagrados”, den Künstlern, die bereits einen Namen haben, zugeschlagen; am Wochenende wird sich zeigen, wie weit nun auch die aufstrebenden jungen Talente ihre Chance bekommen. Die Messe ist bis einschließlich Montag, den 23. Mai, geöffnet.

Für Zündstoff sorgt derweil der arteBA-Petrobras-Preis, mittlerweile die achte Ausgabe und vielleicht der krasseste in der Geschichte des kontroversen Wettbewerbs. Die Kuratoren Sonia Becce und Claudio Iglesias wählten sieben Projekte aus, mit denen sie die Messebesucher “vor ein Dilemma” stellen wollten und mit denen “die nicht rückgängig zu machende Auflösung der Gegenwart” thematisiert werden sollte.

Das mit dem Dilemma ist ihnen geglückt, und wenn man “descomposición” statt gnädig mit “Auflösung” mit “Verwesung” übersetzt, ist es nur zwangsläufig, dass der Rosariner Künstler Carlos Herrera mit seinem Kunstwerk, das aus einer am Boden liegenden Plastiktüte besteht, aus der zwei Schuhe herausschauen, in denen sich Fisch im Prozess der Verrottung befindet, den mit 50.000 Pesos dotierten Hauptpreis gewonnen hat, wie am Donnerstagmittag bekannt wurde. Schon am Donnerstagabend konnte man übrigens schon kaum an die Tüte herangehen, so sehr stank das Werk bereits.

Herreras Werk selbst habe 12 Pesos gekostet, erzählt einer der Künstler, die für den Wettbewerb ausgewählt wurden. Die von Petrobras zur Verfügung gestellten 12.000 Pesos pro Projekt seien je nach Bedarf umgewichtet worden, am meisten habe die Künstlerin Luciana Rondolini für “Calamidad cósmica” bekommen, ein Riesen-Eis am Stiel, von dem Tag für Tag eines neu “gegossen” wird und dann vor sich hin schmilzt. Allerdings geruchlos.

Belén Romero Gunset aus Tucumán haut in einem Raum voller Gegenstände im Rahmen ihrer Performance “Roto” mit brachialer Gewalt die Dinge um sie herum kaputt. Am Donnerstag saß sie bereits in einem beachtlichen Haufen Schutt.

Dagegen lässt sich das von Chandon gesponserte Barrio Joven, das “Junge Viertel” am anderen Ende der Messe im Grünen Pavillon, fast bieder an. Die Galerien aus Venezuela, Brasilien, Mexiko, Buenos Aires, Rosario, Mendoza und Córdoba bieten durchweg sehr gute Qualität. Überhaupt ist das Selbstbewusstsein der Künstler und Galeristen aus dem Landesinneren gewachsen: Der Espacio La Punta beispielsweise ist ein Gemeinschaftsprojekt beachtenswerter Tucumaner Künstler, die im “normalen” Galerienbereich einen Stand haben, der einen Besuch auf jeden Fall lohnt.

Der neue Messe-Sektor “U-Turn Project Rooms” von Mercedes Benz mit 11 Galerien, darunter fünf aus Berlin, bietet edle Kunst und Design. Es herrscht allgemein dezente Eleganz, doch leider auch eine gewisse kuratorielle Eintönigkeit. Am spannendsten ist die rumänische Künstlerin Anca Munteanu Rimnic bei “PSM” aus Berlin, die mit einer Performance – ein Mann rollt Tag für Tag ein unendliches Kabel auf – das Thema Zeit auf subtil-Beckettsche Art behandelt.

  • Zeit: 19. bis 23. Mai
  • Geöffnet: 13-21 Uhr
  • Ort: Messezentrum Rural
  • Blauer und Grüner Pavillon
  • Av. Sarmiento 2704
  • Eintritt: 38 Pesos
  • Rentner und Studenten (mit Ausweis): 20 Pesos
  • Unter 12-Jährige: gratis
  • 2×1: Citi und Club La Nación
  • Auditorium: Eintritt frei
  • Service: Gratis-Audio-Führungen LAN
  • Web
  • Facebook
  • Twitter

Fotos von oben nach unten:
Kurz vor der Eröffnung (v.l.): Enio Cordeiro (Botschafter Brasiliens), Jorge Coscia (Staats-Kulturminister), Carlos Alberto Da Costa (Direktor Petrobras), Facundo Gómez Minujín (Vorsitzender Fundación arteBA), Mauricio Macri (Bürgermeister Bs.As.), Hernán Lombardi (Stadt-Kulturminister), Alejandro Corres (arteBA-Vize).

José Luis Anzizars Serie “Urban Bird Watching” (Elsi del Río ) ist ein Renner.

Carlos Herreras umstrittenes Gewinner-Werk “Autorretrato sobre mi muerte”.

Riesenandrang auf der Eröffnung.

Escriba un comentario