Verzauberte Augenblicke

Ulrike Ottingers Fotos in der FotoGalería des San Martín-Theaters

Von Charlotte Dötig

Leise wurde der Kaffee ausgetragen und gedämpftes Gemurmel erfüllte den Raum, als um 19 Uhr am Dienstagabend eine der wohl beeindruckensten deutschen Fotografinnen, die Eröffnung ihrer ersten Ausstellung in Buenos Aires feiern durfte. Seitdem ziehen auf der Empore, die die große Eingangshalle des Theaters San Martín umgibt, eindrucksvolle Fotografien die Betrachter in ihren Bann. Jedes einzelne Bild Ulrike Ottingers erzählt eine Geschichte. Doch ist es nicht das perfekt gestellte Szenario, das durch gezielte Position der Figuren eine bestimmte Reaktion im Beobachter hervorruft, und auch nicht die im richtigen Moment geschossene, eingefrorene Alltagsszene. Vielmehr ist es der Widerspruch der simplen Realität, die durch den präzise gewählten Bildausschnitt absolut surreal aussieht, und die Darstellung des vollkommen Surrealen, das in seiner Abstraktion verblüffend real wirkt, was jeden Vorübergehenden fesselt.

So wurde zum Beispiel eine Gruppe Ringer auf dem Fest des Hammelbrustknochens (Öwtschüünij-Naadam) 1992 vor der unglaublichen Weite des Landes von ihr abgelichtet. Man könnte es als Dokumentation eines Ritus einer anderen Kultur bezeichnen, und doch ist es vielmehr die Verbildlichung der Fantasie eines Abenteuerromanes, zumindest für jemanden, der noch nie einen Fuß in die Weite der Taiga gesetzt hat.

Man darf jedoch nicht vergessen, dass Ulrike Ottinger auch als Filmemacherin arbeitet. Teilweise sind einzelne Fotografien aus ihren Werken herausgegriffen. Als Betrachter liegt man so mit der Vermutung, dass das Bild in einen größeren Zusammenhang gehört, und dem Gefühl, dass man nur ein Schlaglicht einer komplexen Erzählung vor Augen hat, gar nicht falsch. Oft sind es Porträts, mit denen die Künstlerin einen Moment einfängt und den Facettenreichtum einer einzigen Geste oder eines Gesichtsausdrucks deutlich macht.

Eine ihrer wohl berühmtesten Fotografien ist die Darstellung aus dem Film “Bildnis einer Trinkerin”. Zu sehen ist Tabea Blumenschein, eingehüllt in einen roten Mantel, mit hochgeschlagenem Kragen und der dazu passenden Kopfbedeckung, ihre weiß beschuhte Hand drückt sie gegen eine nasse Scheibe, als wolle sie auf diese Weise auf das Leben jenseits des Glases Einfluss oder einfach nur Abschied nehmen. Verzaubert von dem Blick dieser Frau, der direkt am Betrachter vorbei führt, wird man unmittelbar in eine andere Realität geleitet.

Ist man am Dienstagabend aus dieser Welt wieder aufgetaucht, war es merkwürdig zu sehen, wie die Fotografien Ulrike Ottingers, laut und ausdrucksstark, beim Auftakt der Ausstellung in einem so gegensätzlichen Kontext – auffällig leise und fast unbedeutend – zwischen dezentem Alltagsgeplauder und dem Tageswerk einiger Journalisten, die auf Blöcke kritzelten, vorzufinden waren.

Foto-Ausstellung

  • Ulrike Ottinger, “Una retrospectiva”. FotoGalería des San Martín-Theaters, 1. Stock der Eingangshalle Carlos Morel, Av. Corrientes 1530. Mo-Fr ab 12, Sa und So ab 14 Uhr, bis zum Ende der Aktivitäten des Tages im Theater. 7.6.-3.7.


Filmreihe im Leopoldo Lugones-Saal: weiteres Programm

  • Samstag, 11.6.: Kurzfilme: “Superbia – Der Stolz”. 1986 (15 Min.; DVD); “Usinimage”. 1987 (10 Min.; DVD); “ El espécimen – Das Exemplar”. 2002 (19 Min.; DVD); “Ester”. 2002 (32 Min.; DVD). 14.30 Uhr (Gesamtdauer: 76 Min.). “Exilio Shanghái – Exil Shanghai”. 1997. 18 Uhr (275 Min.; 16mm).
  • Sonntag, 12.6.: “Juana de Arco de Mongolia – Johanna D’Arc of Mongolia”. 1989. 14.30 Uhr (165 Min.; 35mm). “Freak Orlando”. 1981. 18 Uhr (126 Min.; 35mm). “Prater”. 2007. 21 Uhr (104 Min.; DVD).
  • Dienstag, 14.6.: “Doce sillas – Zwölf Stühle”. 2004. 14.30 und 19.30 Uhr (198 Min.; DVD).
  • Mittwoch, 15.6.: “Prater”. 2007. 14.30, 17, 19.30 und 22 Uhr (104 Min.; DVD).
  • Donnerstag, 16.6.: “El cofre nupcial coreano – Die koreanische Hochzeitstruhe”. 2008. 14.30, 17, 19.30 und 22 Uhr (82 Min.; DVD).

Weitere Infos.

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