Es klopft

“Die Frau von früher” von Roland Schimmelpfennig, unter der Regie von Lucas Gioja

Von Anna Weber

Es klopft. Du erwartest niemanden. Trotzdem öffnest du die Tür. Und auf der Schwelle steht deine Vergangenheit.

“Die Idee entstand aus der Furcht, dass eines Tages plötzlich jemand aus der Vergangenheit auftaucht und dich deinen eigenen Worten, die du während deiner Jugend ausgesprochen hast, gegenüberstellt”, sagte der deutsche Autor Roland Schimmelpfennig zu seinem Stück “Die Frau von früher”.

Diese Frau von früher, die plötzlich auftaucht, heißt Romy. Der Mann, der die Tür öffnet, heißt Frank. Vor Jahren hat Frank Romy ewige Liebe geschworen. Und nun, da sie vor seiner Tür steht, um das Versprechen einzufordern, erkennt er sie nicht mehr. Sein ganzes Leben steht in Pappschachteln verpackt um ihn herum. Am nächsten Morgen soll er mit seiner Frau und seinem Sohn Andi umziehen, in ein neues Leben, weit weg von hier. Aber nun steht da plötzlich Romy, und 19 Jahre Ehe und Familienleben brechen in sich zusammen.

In seiner Inszenierung von Schimmelpfennigs Stück stellt der argentinische Regisseur Lucas Gioja diese Zerbrechlichkeit ins Zentrum. Das Bühnenbild besteht aus Umzugskartons mit der Aufschrift “zerbrechlich”. Selbst das Haus, in dem Frank mit seiner Familie seit Jahren wohnt, besteht aus Kartons. Es ist, als wäre Franks Leben, trotz all dieser Jahre, noch immer ein Provisorium, das sich selbst nicht standzuhalten vermag. Die Umzugkartons sind zu voll, und plötzlich quellen Steine und Spielzeugautos hervor, die auf den Boden der Gegenwart prallen.

Vergangenheit, die auf Gegenwart stößt – dies ist der Grund für die Zerbrechlichkeit. Gioja legt großen Wert auf diesen Moment des Aufpralls, den Moment, in dem es klopft. Immer wieder wird der Zuschauer durch Flashbacks aus der Gegenwart gerissen und in die Vergangenheit zurückgeworfen. Mit einer grausamen Unabwendbarkeit bewegen sich die Ereignisse auf das Jetzt zu, der Zuschauer weiß, was kommen wird, kann jedoch den Aufprall nicht verhindern. Und schließlich beginnt sich die Vergangenheit von Romy und Frank mit der Gegenwart von Andi zu vermischen, der seiner Freundin zum Abschied ewige Liebe schwört.

Selbst musikalisch fängt Gioja den Konflikt zwischen Vergangenheit und Gegenwart perfekt ein, indem er den Beatles-Song “I will” der Originalversion durch “Besame mucho” ersetzt. Immer wieder fordert Romy die innigen Abschiedsküsse von früher, aber nun schwingt Melancholie und Verzweiflung mit. Es ist dieselbe Verzweiflung, die Romy schließlich dazu treibt, das Jetzt auszulöschen. Was sie vergisst: Mit der Gegenwart stirbt auch die Zukunft.

Es klopft. Wer könnte es sein? Wer ist deine Vergangenheit? Welche Sätze bereust du? Würde dein jetziges Leben standhalten? Würdest du öffnen?

  • “La mujer de antes” von Roland Schimmelpfennig (Deutschland)
  • Regie: Lucas Gioja
  • Freitags 23 Uhr im Excéntrico de la 18°, Lerma 420
  • Mit Sol Titiunik, Juan Carlos Cáseres, Marisa Aguilera, Fernanda Penas und Nicolás Goldschmidt

2 comentarios sobre “Es klopft”

  1. Hartmut Becher dice:

    Glückwunsch zu dem klasse Artikel.
    Ich habe einer der Aufführungen gesehen. das Stück ist wirklich zu empfehlen.

    Hinweisen möchte ich auch auf Stück “SUM SUM” der jungen Schweizer Autorin Laura de Weck. Regie führt Laura Brauer.
    Es wird derzeit freitags um 20:45 Uhr im Teatro La Tertulia, Gallo 826 (Abasto) aufgeführt. Die Übersetzung ins Spanische stammt von der Regisseurin. Lohnt sich ebenfalls!


  2. Hartmut Becher dice:

    Vor einer Woche hatte auch noch ein anderes Stück von Roland Schimmelpfennig in Buenos Aires Premiere: “PUSH UP 1-3”. Sehr zu empfehlen!

    Die Aufführungen sind freitags um 20 Uhr im CÓDIGO MONTESCO TEATRO-RESTÓ, Gorriti 3956 (fast Ecke Medrano), Palermo. Tel. 3968-4292.
    Letzte Aufführung am 30. September! Siehe auch: http://www.alternativateatral.com/obra21420-push-up-13


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