“Panorama Sur”: Deutscher Besuch

Deutscher Theaterkritiker Prof. Gerald Siegmund in Buenos Aires

Von Susanne Franz

Im Rahmen der Theaterakademie “Panorama Sur” (18.7.-12.8.) hielt der deutsche Tanz- und Performance-Kritiker Prof. Dr. Gerald Siegmund von der Justus Liebig-Universität Gießen, der mit der Unterstützung des Goethe-Institut in Buenos Aires weilt, am Mittwoch im Malba den Vortrag “In die Geschichte eintreten – Strategien des Erinnerns im deutschen Theater der Gegenwart”. Es war die zweite Meisterklasse im Rahmen des Theatertreffens, das am Montag mit einem Vortrag des argentinischen Dramaturgen Javier Daulte begonnen hatte.

Die von der Siemens Stiftung und der Asociación para el Teatro Latinoamericano/THE organisierte Veranstaltung “Panorama Sur” findet zum zweiten Mal statt und besteht aus Workshops, Meisterklassen und Aufführungen internationaler Theatergrößen. Die Meisterklassen im Malba werden am Montag, dem 25. Juli, um 18.30 Uhr, mit den argentinischen Autoren/Regisseuren Mariano Pensotti und Matías Feldman fortgesetzt. Am Mittwoch, dem 27. Juli, um 17 Uhr, spricht der Portugiese João Fiadeiro. Weitere Klassen finden am 1., 3., 8. und 10. August statt (Kostenpunkt 50 Pesos pro Meisterklasse, $160 für vier; Veranstaltungsort ist jeweils das Malba, Av. Figueroa Alcorta 3415).

Prof. Siegmund entwickelte für seine Zuhörer am Beispiel von drei Inszenierungen die These, dass eine Jetztzeit des Erinnerns im Theater unmöglich sei, egal, ob die Bühne als Institution aufrechterhalten oder durch andere Orte ersetzt werde, wie in seinem ersten Beispiel, der Aufführung “Call Cutta” von Rimini Projekt aus dem Jahr 2005, die in einer Stadtführung durch Berlin bestand, in deren Rahmen die Teilnehmenden (die “Zuschauer”) per Kopfhörer von Call Center-Agenten in Kalkutta durch die Stadt geführt wurden – eine Stadt, die die besagten Agenten selbst nie gesehen hatten. Dabei erzählten die Agenten die Geschichte eines indischen Nationalisten, der einst mit Hitlers Hilfe eine Armee gegen sein eigenes Land zusammenstellte – eine wahre Geschichte, die jedoch so unglaubwürdig klingt, dass die Zuschauer ständig an ihrem Wahrheitsgehalt zweifeln. Auch die Geschichte Berlins während des 2. Weltkriegs fließt als Ebene in die Inszenierung ein. Durch diese Elemente werde der Teilnehmende ständig “in der Schwebe gehalten”, so Prof. Siegmund.

Als weitere Inszenierung, in der “die Orte des Geschehens selbst zu Mitspielern werden”, beschrieb Dr. Siegmund ausführlich Klaus Michael Grübers “Winterreise” von 1977 im Münchner Olympiastadion, um dann als drittes und letztes Beispiel Nicolas Stemanns Inszenierung des unveröffentlichten Jelinek-Textes “Ulrike Maria Stuart” im Hamburger Thalia Theater von 2006 anzuführen, wo nur vordergründig die Bühne als Aufführungsort erhalten bleibe, während durch die Inszenierungsstrategien “das bürgerliche Theater von innen ausgehöhlt” werde.

Die Strategie des Gegenwartstheaters, sich an die traumatische Geschichte (im letzten Beispiel die von Ulrike Meinhof und dem RAF-Terror) anzunähern, bestünde darin, Fragen zu stellen, diese würden “an das Publikum zurückgeworfen”. Das “Ich”, der Zuschauer müsse selbst Position beziehen und seine eigene Haltung reflektieren, in diese Aussage mündete Prof. Siegmunds Vortrag, der den zahlreichen Anwesenden (hauptsächlich Theaterstudenten) sicher viele Denkanstöße gab.

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