Augen, die ein ganzes Jahrhundert sahen
Horacio Coppola, ein großer Vertreter der Fotografie der Moderne, feierte seinen 105. Geburtstag
Von Jasmin Müller
Horacio Coppola ist zweifellos einer der großen Vertreter der Fotografie der Moderne. Am vergangenen Sonntag feierte der argentinische Künstler in seinem Haus zwischen der Calle Esmeralda und Libertador seinen 105. Geburtstag. Coppola, der am 31. Juli 1906 als Kind von Einwanderern in Buenos Aires geboren wurde und dort auch aufwuchs, bildete seine Heimatstadt ab wie sonst keiner.
Mit der Fotografie kam Coppola bereits als Kind durch seinen Bruder, der Hobbyfotograf war, in Berührung. Im Jahr 1931 unternahm er eine Reise nach Europa, und sein Galerist Jorge Mara bezeichnet dieses Erlebnis als den Anfang seiner Fotografenkarriere. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Künstler noch nicht entschieden, ob er sich dem Fotografieren, Filmen oder der Literatur oder der Philosophie widmen sollte. Auf der Reise kaufte er sich jedoch seine erste Kamera – eine Leica -, die nicht nur die Geschichte der Fotografie, sondern auch die Sichtweise des jungen Coppola revolutionierte und den Fotografen dieser Zeit technische Flexibilität und Mobilität gab. Bereits auf dem Rückweg, welcher durch Brasilien führte, schoss er seine ersten Fotos.
Im Jahr 1932 unternahm er eine weitere Reise nach Europa, um dort das fotografische Handwerk zu erlernen. So studierte der Argentinier bis zur Schließung durch die Nazis einige Jahre an der Bauhaus-Schule und nahm unter anderem an einem Fotokurs mit Walter Peterhans teil. Dort traf er auch auf die deutsche Fotografin Grete Stern, und durch sie lernte er Hans Eisler, Karl Korsch und Bertolt Brecht kennen. Nachdem das Bauhaus geschlossen wurde, reiste er gemeinsam mit Grete Stern weiter durch Europa und heiratete sie 1935 in London. Immer mit dabei – seine Kamera. Der Künstler schoss auf dieser zweiten Reise Hunderte von Fotos: London, Budapest, Berlin.
Zurück in Buenos Aires wurde der damals 30-jährige Künstler damit beauftragt, den Bau des Obelisken zu dokumentieren und Fotografien der Stadt für das Buch “Buenos Aires 1936” zusammenzustellen. Dieses erschien anlässlich des 400. Geburtstags der Stadtgründung und war ein wichtiger Schritt in der Karriere des Fotografen. Im Jahre 1937 zeigte Coppola zusammen mit seiner Frau Grete einige Fotografien in einer gemeinsamen Ausstellung und eröffnete ein Fotostudio. Zu dieser Zeit wurde Coppola zwar in Kennerkreisen seines Landes als Meister der Fotografie bewundert, jedoch musste er über 90 Jahre alt werden, um internationale Anerkennung zu erreichen. Erst eine Ausstellung im Instituto Valenciano de Arte Moderno in Spanien im Jahre 1996 brachte ihm internationalen Ruhm und die Werke in die angesehenen Galerien und Museen Europas. Seit diesem Zeitpunkt gilt er als einer der großen Fotografen des zwanzigsten Jahrhunderts, und das MoMA in New York sowie das Tate Modern in London besitzen Werke des Fotografen.
Der Künstler, der darauf spezialisiert war, Großstädte – besonders seine Heimat Buenos Aires – abzulichten, hat klassische Fotografie immer abgelehnt. Denn diese wende für das Fotografieren einer Stadt die Strategien der Landschaftsmalerei an. Coppolas Arbeiten hingegen erforschen die Metropole und ihre Architektur mit einem genauen, präzisen Auge. Er kreiert unbekannte Winkel und schwindelerregende Fluchtpunkte. Buenos Aires wird in einem Zusammenspiel aus Formen und Geometrie dargestellt. “Er ist außergewöhnlich begabt und hat ein Auge, das großartig auswählt und das Objekt respektiert”, so sein Galerist Mara.
Nach der stürmischen Ehe mit Grete Stern fand er mit Raquel Palomeque sein ruhiges Gegenstück und heiratete sie im Jahr 1959. Bis 2004, als sie im Alter von 96 Jahren verstarb, begleitete sie Coppola. Heute, mit 105 Jahren – er selbst nennt sein Alter eine “Übertreibung” – erinnert er daran, dass der Zweck der Fotografie ist, das Leben zu dokumentieren. “Es sind die Augen, die ein ganzes Jahrhundert sahen”, so beschreibt Juan Manuel Bonet, der für die Ausstellung in Valencia verantwortlich war, den Künstler. Diese außergewöhnlichen Augen haben bis vor zwei Jahren noch nicht einmal eine Lesebrille gebraucht. Außerdem hört der Argentinier noch gut, geht ohne Stock und unterschreibt mit einer ruhigen Hand. Seine Tage verbringt Horacio Coppola heute damit, Musik zu hören – nur Mozart und Beethoven -, und nebenbei läuft tonlos der TV-Kanal Animal Planet.
Fotos von oben nach unten:
Horacio Coppola, “Buenos Aires 1936 – Plaza de la República”.
Schwindelerregende Fluchtpunkte: Coppola fotografierte seine Heimatstadt auf unverwechselbare Art und Weise.
Coppola und Raquel Palomeque 2003.