Hamlet mit Tourette
Riesenerfolg der Berliner Schaubühne in Buenos Aires
Von Susanne Franz
Er spuckt, schreit und stößt Obszönitäten aus, dann spricht er wieder normal, ja gemessen: Der “Hamlet” aus der Feder Marius von Mayenburgs, angelehnt an Shakespeares Meisterwerk, den die Berliner Schaubühne am Lehniner Platz am vergangenen Wochenende im Teatro San Martín als Gastspiel auf die Bühne brachte, scheint am Tourette-Syndrom zu leiden. Fast drei Stunden lang gibt der Schauspieler Lars Eidinger in der Titelrolle eine großartige, unvergessliche Interpretation des zerrissenen, schwermütigen bis tollwütigen Prinzen von Dänemark und reicht dabei an eine Klasse heran, die man zuvor vielleicht höchstens bei Martin Wuttke erleben konnte, der ebenfalls mehrmals in Buenos Aires im Rahmen des Internationalen Theaterfestivals auftrat.
Aber auch die anderen Schauspieler, vier Männer und eine Frau, die die 20 Rollen des Stückes spielen, sind grandios, am Ende werden alle von den Zuschauern mit stehendem, donnerndem Applaus gefeiert.
Auch danach noch ein Leckerbissen: Schaubühne-Direktor Thomas Ostermeier und Lars Eidinger stellen sich in einem 45-minütigen, von Rafael Spregelburd geleiteten Gespräch dem Publikum vor. Dabei spricht Eidinger über seinen Umgang mit dem Star-Status, den ihm die Rolle eingebracht hat (das Ensemble spielte den “Hamlet” erstmals 2008), und Ostermeier reflektiert über den Erfolg und die soziale und politische Verantwortung seines Theaters.
Die besondere Handschrift der Berliner Schaubühne – “Glamour” und “Style” hätte das Theater in den grauen Alltag der Bundesrepublik gebracht, sagte Ostermeier – wusste das Publikum in Buenos Aires zu schätzen, ebenso wie viele der universellen ethischen Fragen, die diese Hamlet-Bearbeitung aufwirft. So fragt sich etwa Claudius, der seinen Bruder, Hamlets Vater, ermordet hat, um ihm Thron und Königin zu stehlen, ob er überhaupt um göttliche Vergebung bitten kann, während er zugleich die Früchte seiner Gräueltat genießt. Ostermeier selbst verglich Hamlet mit dem modernen Menschen von heute: Hamlet sei einer, “der so viel weiß und nichts tut”.
An diesem Wochenende ist noch ein zweiter deutscher Beitrag im Rahmen des FIBA zu sehen, ebenfalls unterstützt vom Goethe-Institut Buenos Aires. René Polleschs Ein-Personenstück “Ich schau dir in die Augen, gesellschaftlicher Verblendungszusammenhang!” wird am heutigen Samstag um 20 Uhr und am Sonntag um 17 Uhr im Teatro Alvear aufgeführt. Infos auf der Webseite des Theaterfestivals.