Verblendeter Zusammenhang

Pollesch-Stück wurde in Argentinien wohlwollend aufgenommen

Von Susanne Franz

Es beginnt fulminant mit einem (Fast-)Striptease: Fabian Hinrichs betritt die Bühne und schmeißt erst seine Schuhe und Socken, dann die Jeans und das T-Shirt ins Publikum. Ein bisschen tanzt er dann, singt, haut auf ein Schlagzeug und klimpert auf der Gitarre, spielt Ping-Pong mit einem Statisten, wirft später Reclam-Heftchen ins Volk, besprüht sich mit rotem und grünem Spray, zieht mal was an, mal wieder was aus. Dabei spricht er Texte und Textfetzen, die er auf eine seltsame Art und Weise deklamiert, sie mit Gesten und Mimik unterstreicht, als wolle er sie für Dumme oder kleine Kinder verständlich machen. Am vergangenen Wochenende wurde im Teatro Alvear als zweiter deutscher Beitrag zum Internationalen Theaterfestival das Ein-Personenstück “Ich schau dir in die Augen, gesellschaftlicher Verblendungszusammenhang!” des deutschen Dramatikers René Pollesch aufgeführt, ein Werk, das der Autor im vergangenen Jahr in Zusammenarbeit mit dem Schauspieler Fabian Hinrichs erarbeitet hat. Das Stück ist eine Produktion der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz.

Nach dem überwältigenden Erfolg des “Hamlet” der Berliner Schaubühne eine Woche zuvor war Polleschs Stück eher sperrig. Die Persiflage, die mit böser Ironie das “widerlich Schrägstrich schreckliche interaktive Theater” kritisiert, soll über die Texte und vor allem die Art, in der der Schauspieler “spielt” – oder eben nicht, denn er gibt ja nicht vor, irgend etwas zu sein – erreichen, dass man sich zu keinem Zeitpunkt mit dem Stück – oder ihm – identifiziert. Das gelingt, es herrscht eine permanente Unsicherheit, und eine unbequemes Gefühl begleitet die “netten Dinge”, die der Schauspieler da vollführt. Kein angenehmes Theatererlebnis also, aber das ist man natürlich “selber schuld”, denn warum geht man auch mit solchen Erwartungen ins Theater?

Ein schlechtes Gefühl bleibt aber vor allem zurück, weil das Publikum herzlich lachte und “mitmachte” und das Ganze als Komödie – und als interaktives Theater – verstand. Hinrichs schaute auch immer nach oben zu den Übertiteln, wie um sich zu vergewissern, ob er noch im richtigen Stück war.

Polleschs Werk scheint ein vollgefressenes, arrogantes Publikum zum Ziel zu haben, dem es den Spiegel der eigenen Erwartungen vorhalten will. Ein kulturhungriges Dritte-Welt-Publikum damit vor den Kopf zu stoßen, ist vielleicht sogar ein bisschen gemein.

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