Die Geburt des Individuums

Die Ausstellung “Gesichter der Renaissance” im Berliner Bode-Museum versammelt rund 170 Porträtdarstellungen der italienischen Frührenaissance

Von Nicole Büsing und Heiko Klaas

“Alle Frauen im 15. Jahrhundert wollten schön aussehen”, sagt Keith Christiansen, der Leiter der Abteilung Europäische Malerei am New Yorker Metropolitan Museum. Und, so fügt er hinzu, der “Magazine Look”, also unsere von Modemagazinen wie Vogue oder Elle geprägte Vorstellung perfekter Schönheit, sei keine Erfindung des letzten Jahrhunderts, sondern ein Ideal, das von den Künstlern der italienischen Renaissance bereits im frühen 15. Jahrhundert vorformuliert wurde. Christiansen hat gemeinsam mit seinem deutschen Kollegen Stefan Weppelmann von den Staatlichen Museen zu Berlin eine Ausstellung zusammengestellt, die in den beiden Kunstmetropolen diesseits und jenseits des Atlantik für Furore sorgen soll.

“Gesichter der Renaissance” versammelt rund 170 Bildnisse aus den berühmtesten Museen der Welt: Tafelbilder, Zeichnungen, plastische Darstellungen, Büsten und Porträtmedaillen. Präsentiert werden die kostbaren und überaus lichtempfindlichen Exponate auf schwarz gestrichenen Wänden. Die Gemälde und Zeichnungen hängen jedoch nicht direkt an der Wand sondern auf schwarzen Samtfonds, die ihnen zusätzliche Noblesse verleihen. Individuelle Spotlights lassen die Bilder fast aus sich selbst heraus leuchten. Erstmals in dieser Fülle und Qualität erforscht eine internationale Ausstellung die Geburt des Individuums aus dem Geist der Kunst.

Anbetungsbilder, allegorische Darstellungen einzelner Personen oder Heiliger, Erinnerungsbilder auf Grabplatten: All das gab es natürlich schon vor der Renaissance. Die Etablierung des autonomem Porträts aber war der große Schritt nach vorne. War es bis zum frühen 15. Jahrhundert noch weitgehend unüblich, individualisierte Porträts herzustellen, so entwickelte sich jetzt ein wahrer Boom der Porträtkunst. Fürsten und Kaufleute, Kardinäle und selbstbewusste Bürger ließen sich und die von ihnen angebeteten Frauen auf naturalistische Art und Weise von den besten Künstlern ihrer Zeit porträtieren.

Zum Beispiel der Florentiner Clan der Medici. Unter den Mitgliedern der durch Textilhandel und die Erfindung des modernen Bankwesens zu Reichtum und Macht gelangten Dynastie gehörte es praktisch zum guten Ton, das eigene Konterfei anfertigen zu lassen. Und das keineswegs nur auf Gemälden. Ein wichtiger Bildträger der damaligen Zeit waren auch Porträtmedaillen aus Bronze in höherer Auflage, die man zum Beispiel an Geschäftspartner verschenkte. Die zeitweilige Konjunktur dieser Profilbildnisse, so eine der neuen Erkenntnisse der Ausstellungsmacher, regte die Porträtmalerei überhaupt erst an.

Zu den eindrucksvollsten Beispielen der Schau gehören Sandro Botticellis drei Porträts des jungen Giuliano de’Medici. Die Bildnisvarianten zeigen einen ernsthaft blickenden jungen Mann mit vollen, halblangen schwarzen Haaren und würdevoll niedergeschlagenen Augen. Dass derartige Bilder durchaus auch innerhalb damaliger Strategien des Machterhalts und des Machtausbaus ihre Funktion hatten, legen jüngere Forschungsergebnisse nahe. Giulianos Bruder, der mächtige Lorenzo de’Medici, genannt der Prächtige, suchte seinen Einfluss auf die römische Kurie zu vergrößern. Das Bildnis seines in sich gekehrten, aber dennoch entschlossen wirkenden Bruders wirkt da aus heutiger Sicht fast wie ein Bewerbungsfoto. Erfolg war ihm nicht beschieden. Giuliano kam noch im Entstehungsjahr des Bildes bei einer Verschwörung ums Leben.

Zu den Publikumslieblingen der Schau dürften sicherlich die zahlreichen Profilbildnisse junger, vorzugsweise blonder Frauen werden. Blasser Teint, schlanker Hals und hohe Stirnpartie konstituieren ein Schönheitsideal, das bis heute fortwirkt. Leonardo da Vincis Gemälde “Dame mit dem Hermelin” (1489-90) aus dem Krakauer Czatoryski Museum, am Ende des Rundgangs prominent platziert, bildet das Highlight der Schau. Es ist ein Gemälde, das bis heute Rätsel aufgibt. Wohin schaut die merkwürdig ablenkte Dame? Warum wirkt ihre Hand so überproportional groß und um vieles älter? Und vor allem: Was hat es mit dem Hermelin auf sich? Kurator Stefan Weppelmann betont die Sonderstellung dieses Gemäldes: “Das ist das erste moderne Porträt der Kunstgeschichte. Modern deshalb, weil es wagt, über die Natur hinauszugehen und sich Abstraktionen erlaubt.”

Auf einen Blick:

  • Ausstellung: Gesichter der Renaissance – Meisterwerke italienischer Porträt-Kunst
  • Ort: Staatliche Museen zu Berlin, Bode-Museum
  • Zeit: 25. August bis 20. November 2011
  • Öffnungszeiten: Mo-Mi 10-18 Uhr, Do-So 10-22 Uhr
  • Katalog: Hirmer Verlag, 432 S., 29 Euro
  • Webseite

Fotos von oben nach unten:

  • Leonardo da Vinci, “Dame mit dem Hermelin” (Porträt der Cecilia Gallerani), 1489/90. Krakau, Besitz der Prinz Czartoryski Stiftung, im Nationalmuseum Krakau
  • Ausstellungsansicht Medici-Raum
    (Foto: Klaas)
  • Sandro Botticelli, “Profilbildnis einer jungen Frau” (Simonetta Vespucci?), um 1476. Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu Berlin

Escriba un comentario