Was kostet eine Seele?

Sardonisches “El primer Domingo” wirft existenzielle Fragen auf

Von Susanne Franz

Dass der Haussegen schiefhängt bei Julio und Viviana Gordín (Sergio Sánchez de Bustamante und Alicia Nieva, Foto), merkt man schon in den ersten Minuten. Sie blättert gelangweilt in einer Zeitschrift und ignoriert die Befehle (“Bring mir mal …!”) ihres Mannes von draußen. Dann kommt es zum Streit, dem ersten Drink und der ersten Zigarette noch vor dem Frühstück. Julio, ein lauter, polternder Haustyrann, hat ein Pärchen an diesem Sonntag in das feine Haus mit Pool im Country eingeladen, damit ist Viviana gar nicht einverstanden. Sie kennt ihren Mann, weiß, dass der Tag nur in der Katastrophe enden kann. Und sie wird recht behalten.

Das Publikum ist gespannt. Was wird passieren? Was hat Julio vor, warum liegt ihm so viel an diesem Besuch? Fast bettelt er seine Frau an, sie möge doch mitspielen, so tun, als wäre alles in Ordnung.

Dann kommen sie an: Felipe und Teresa (Javier Piazza, Romina Gil), ärmlich gekleidet, mit einem bescheidenen Gastgeschenk in der Hand, die Münder offen vor Staunen, wie schön es doch sei hier! Julio ist ganz in seinem Element, protzt herum, klopft Felipe auf die Schulter, macht Teresa Komplimente. Er hat sie in kürzester Zeit in der Tasche. Aber Viviana macht nicht mit, so dass er sie kurzerhand vor den Gästen als Alkoholikerin abstempelt, unter deren Launen er, der Ärmste, so sehr zu leiden habe.

Es ist ganz klar: Julio, ein Lügner und Betrüger, ein Wolf im Schafspelz, bekommt immer das, was er will. In diesem Fall will er Felipe, denn er steht kurz vor dem Ruin und braucht einen Sündenbock. Sein ehemaliger Arbeitskollege, eine ehrliche Haut, wenn auch etwas naiv, kommt da genau recht.

Mehrere unvorhergesehene Dinge geschehen – Felipe lässt sich überraschenderweise nicht korrumpieren, Teresa dagegen völlig. Ein Sonntag kann reichen, eine Familie zu zerstören.

Beatriz Mosquera hat mit “El primer Domingo” ein intelligentes Stück geschrieben, in dem die Spannung sich allmählich steigert, ein Werk, das unter dem Eindruck der argentinischen Wirtschaftskrise 2001/2002 entstanden ist, das aber darüber hinaus auf allgemein menschliche und ethische Konflikte verweist.

Regisseur Néstor Zacco verwandelt den Text trotz der statischen Bühne in ein dynamisches, dramatisch sich entwickelndes Geschehen. “Poolszenen” oder das Essen in einem benachbarten Raum werden per Audio eingespielt, die Parkanlagen ums Haus entstehen durch die Worte der Schauspieler vor dem geistigen Auge des Zuschauers. Die sehr guten schauspielerischen Leistungen des gesamten Ensembles tragen weiterhin zum Erfolg des Stückes bei.

“El primer Domingo” läuft bis Ende November samstags um 19.45 Uhr im Theater Taller del Ángel, Mario Bravo 1239. Der Eintritt kostet 40 Pesos, für Studenten und Rentner gibt es eine Ermäßigung. Reservierungen unter Tel.: 4963-1571.

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