Vom Kriegerischen über das Poetische zum Schönen

Die Ausstellung “Bellico” des argentinischen Künstlers Martín Bonadeo

Von Maike Pricelius

Über den Stufen zum Eingangsbereich des “Espacio Fundación Telefónica”, passend zum Ort, hängt ein “Langohr”. So jedenfalls könnte man den Titel “Largaoídos” der Intervention von Martín Bonadeo ins Deutsche übersetzen. Ein 3,20 m langes, metallenes Horn ist unter der Decke angebracht, an dessen Ende ein Kopfhörer baumelt, den der Besucher aufsetzt, noch bevor er die Ausstellung wirklich betreten hat. Das offene Ende ist auf den gegenüberliegenden Park gerichtet und verstärkt die Geräusche, die aus dem öffentlichen Raum in den Zwischenbereich des Eingangs fallen. Die Parkbesucher, Spaziergänger mit Hunden, alle ziehen sonst meist ungehört vorbei. Der Apparat aber, der für das Hören von Flugzeugen entwickelt wurde, überträgt die Stimmen und Geräusche bis auf die andere Straßenseite, bis zur Ausstellung “Bellico”. So eingestimmt, nach angestrengtem Hören ganz Ohr, betritt der Besucher den Ausstellungsraum.

Der Titel “Bellico” setzt sich aus zwei Wörtern zusammen, die die zwei Achsen, welche die Ausstellung durchziehen, widerspiegeln. Alexander Graham Bell meldete 1876 das Patent für das Telefon an. Sein Name steht damit für die Möglichkeit der Kommunikation in Echtzeit über große Distanzen hinweg. Der zweite Teil des Titels steht für “bélico”, kriegerisch. Aber ist die Kommunikation nicht die Antithese zum Krieg? In den Installationen und Interventionen im “Espacio Fundación Telefónica” kommen diese beiden auf den ersten Blick disparaten Konzepte zusammen. Verschiedene Konnotationen des Begriffes “Krieg” werden in den Kunstwerken beleuchtet, von der Entwicklung der ersten Kommunikationsapparate, wie Walkie Talkies, für die Kriegsindustrie, bis hin zum alltäglichen Kampf mit sich selbst, welcher die Anforderung, jederzeit und überall erreichbar zu sein, auslöst. Die Wissenschaft, das System, die Welt zu erklären, und die Entwicklung der Technik, sowie ihre Effekte auf unser Leben, bilden den Ausgangspunkt für die Überlegungen des Künstlers.

Eine Sinfonie der Telefone begegnet dem Besucher (Telemonólogos), sobald er die Eingangstür durchschritten hat. 150 Telefonhörer hängen an ihren Kabeln von der Decke und laden dazu ein, sich unter sie zu mischen und ihrem Sound zu lauschen. Unterschiedliche Aufnahmen, von Anrufen auf Faxgeräte, Besetztzeichen, bis zu Falsch-Verbunden-Ansagen lassen sich immer wieder neu kombinieren, je nachdem, wo man sich gerade aufhält und nach welchen Hörern man greift und sich an die beiden Ohren hält.

Ein Telefondom (Resonador) begegnet einem im nächsten Raum, eine hölzerne Kuppel, in der 60 Telefone aufgereiht sind, alle noch aus dem analogen Zeitalter. Die ältesten stehen ganz unten und verjüngen sich bis zur Spitze hin. Ganz oben haben die Telefone schon Tasten. In einer Ecke des Raumes steht eine alte Telefonverbindungsanlage, von der aus ein Kabelgewirr bis hin zu den einzelnen Apparaten führt. Der Besucher löst durch das Betreten des Raumes einen Sensor aus, und die Telefone beginnen zu klingeln, spiralenförmig steigt der Lärm nach oben. In der Mitte des Doms wird das Klingeln körperlich erfahrbar. Diese Form der Antikommunikation, hervorgerufen durch die Invasion der Apparate in den persönlichen Bereich des Lebens, werden für den Besucher am eigenen Leib spürbar.

Die Arbeit “Olalo” bezeichnet einen Ort in der Geschichte, der vor der Erfindung von Bell liegt, eine Apparatur, die wie die menschliche Kehle Töne bildet. Drei gläserne Objekte, die den menschlichen Kehlkopf nachahmen, sind jeweils in ein aufrecht stehendes Horn eingelassen, welche sich in der Mitte der nach oben führenden Treppe befinden. Ebenfalls durch einen Sensor wird ein Luftzug ausgelöst und die Worte (h)ola (Hallo) werden geformt. Ein Horn bildet das O, eines das L und das nächste das A. Beim Heruntergehen entsteht das Wort ALO.

Am Ende der Treppe befindet sich die Mediathek der Fundacón. Vier der tragenden Metallstützen hat Bonadeo zu Telefonmasten umfunktioniert (“Paisaje telefónico”). Unter der Decke spannen sich blau leuchtende Drähte von einem Ende des Raumes zum nächsten. Die Fenster sind abgedunkelt, ein Drittel ist mit grüner, zwei Drittel mit blauer Folie beklebt, ein Konzept, das in der Tradition der argentinischen Kunst die endlosen Weiten der Pampa in Erinnerung ruft, durch die sich heute die Telefonmasten ziehen. Unter einem der Pfosten liegt ein Originalvogelnest, welches an den ebenfalls authentischen Holzstreben hing, die nun im Ausstellungsraum angebracht sind. Die Technik nimmt nicht nur Einfluss auf das Leben der Menschen, sondern beeinflusst auch die Natur.


Die komplexeste Arbeit in der Ausstellung ist wohl “Estados vibracionales I y II” (Staat/Zustand in Schwingung), in denen die Astronomie eine zentrale Rolle spielt. Zwei Titelbilder aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Abhandlungen aus dem 17. Jahrhundert liegen stark vergrößert auf dem Boden. Athanasius Kirchers “Ars Magna Lucis et Umbrae” (Die große Kunst von Licht und Schatten) zeigt zwei Frauenfiguren. Die eine verkörpert die Sonne und den Tag, die andere den Mond und die Nacht. Ihr Körper ist mit Sternen bedeckt und unter ihr sitzen zwei Pfauen. Lichtstrahlen werden durch verschiedene Linsen zwischen Tag und Nacht geleitet und zeugen von Athanasius’ Erfindungen, die es ermöglichten, Licht auch im Dunkeln zu reflektieren. Kircher war ebenfalls ein Anhänger der sogenannten “Sphärenharmonie”, der aus der griechischen Antike stammenden Vorstellung, dass bei den Bewegungen der Himmelskörper Töne entstehen, deren Höhe von ihren Abständen und Geschwindigkeiten abhängt. So zeigt das zweite Titelbild eine astronomische Abbildung, die ein erweitertes ptolemäisches Weltbild mit der Erde im Zentrum darstellt, welches auf eben dieser Vorstellung beruht. In regelmäßigen Abständen senken sich Lautsprecher von der Decke auf die Abbildungen und werfen ihren kreisrunden Schatten auf die Abbildungen der Weltbilder. Der eine ist mit dem Geräusch, welches an ein Flugzeug beim Durchbruch der Schallgeschwindigkeit erinnert, ausgestattet, der andere mit Tönen in den Abständen aus der Sphärenharmonielehre.

In einer Ecke des Ausstellungsraums hängt eine Bell x-1, ein Raketenflugzeug der US Airforce, das speziell für die Durchbruch der Schallmauer entwickelt worden ist (Barrera audiovisual). Ein weißer Kreis umgibt das Flugzeug, der entsteht, wenn eben dieser Punkt erreicht ist und der Sound sichtbar wird.

In “Marketing des Krieges” hat Bonadeo einen Pfeiler des Ausstellungsraumes in einem Gestrüpp von Kabeln versteckt. Dieser ist einer der zentralen Pfeiler der Fundación, die als Schaltzentrale für Buenos Aires funktionierte, in der alle Telefonkabel zusammenliefen. In dem Gestrüpp befinden sich die Aufnahmen von dem Anrufbeantworter aus seinem Atelier, fast ausschließlich Werbung und Umfragen.

“Aller wissenschaftliche Fortschritt baut auf dem auf, was andere gemacht haben. Ein Objekt setzt sich aus zwei oder drei Objekten zusammen, welche schon existieren: nichts ist wirklich neuartig”, erklärt Bonadeo in einem Interview. Das bezieht sich sowohl auf die Entwicklung von Apparaturen, die Töne transportieren können, als auch auf die Bedeutung von Sound für die Erkenntnis. Auch wenn die unterschiedlichen Interventionen, Installationen und Objekte auf den ersten Blick in keinem Bezug zueinander stehen, zeigen sich doch beim genauen Hinsehen viele Verbindungen. Die Materialität der alten Telefone als eigenständige Objekte aus vergangener Zeit und der Fokus auf den Hörsinn, die Verbindung von Kunst und Technologie, bilden den Rahmen für diese Ausstellung.

  • Martín Bonadeo, “Bellico. De lo bélico a lo poético a lo bello”
  • Espacio Fundación Telefónica
  • Arenales 1540
  • Mo-Sa 15-20 Uhr
  • Buenos Aires
  • 19. Oktober bis 17. Dezember 2011

Escriba un comentario