Damit die Spuren nicht verlorengehen

Besuch im Martius Staden-Institut, Sao Paulo, als Feldforschung für ein zu gründendes Dokumentationszentrum in Buenos Aires

Von Regula Rohland de Langbehn

Das 1925 aus kleinen Anfängen hervorgegangene Hans Staden-Institut wurde 2006 als Martius Staden-Institut aus dem Zentrum von Sao Paulo nach Morumbí verlegt, wo ihm ein geräumiger Trakt in der deutschen Schule Vizconde de Porto Seguro, einer altehrwürdigen Privatschule, nach Maß geschneidert worden war. Wenn man es betritt, hat man durchaus das Gefühl, in einen hochmodernen Tempel der Wissenschaft einzutreten, und tatsächlich sieht man in abgeteilten Boxen dort fleißige Priester und Priesterinnen der Wissenschaft dem Gott Archivus und der Göttin Genealogia huldigen.

Der Weg in dieses Sanktuarium ist freilich für den Fremdling mit Gefahren besät, wenn nicht ein guter Genius in Gestalt des Direktors Dr. Kupfer den Einlass Heischenden durch die gefährliche Zone zwischen der nächsten Metrostation und dem Institut geleitet, eine Zone, die über Brücken und Stadtautobahn führt und zu Fuß nicht durchschreitbar ist. Es scheint so zu sein, dass man zwar nicht durch Feuer und Wasser, aber doch wenigstens an einem Goldesel vorbeigegangen sein muss, wenn man alleine dorthin will, denn man muss im eigenen Auto oder, vor allem als sprachunkundiger Fremder, per Taxi anreisen, wenn man heil ankommen will.

Dadurch ist das Institut in der beneidenswerten Lage, praktisch ohne Publikum zu arbeiten: Wissenschaftler wenden sich in der Regel per E-Mail an die Angestellten und werden sehr zuvorkommend bedient, und auch private Anfragen – z.B. von Leuten, die einen deutschen Großvater für die Beschaffung des europäischen Passes nachweisen müssen – lassen sich in der Regel auf diese Weise beantworten.

In dem geräumigen Institut sind in eng gestellten Buchregalreihen, abgesehen von einer reichhaltigen Bibliothek und einer stattlichen Zeitschriftensammlung, Tausende von Schachteln und Ordnern aufgestellt, in denen wohlsortiert papierene Hinterlassenschaften von Deutschbrasilianern und Brasiliendeutschen bewahrt werden: Fotos, Briefe, Aufzeichnungen aller Art, Zeitungsnotizen, die sie betreffen, Geschäftspapiere und Rechnungsbücher. Die Sammlung enthält eine eindrucksvolle Menge von einschlägigen Fachbüchern, von Brasilienbüchern, Sonderdrucken und kleinen Schriften sowie deutsch-brasilianischen Zeitschriften und Zeitungen. Sie wird, seit sie vor bald hundert Jahren vom deutschen Lehrerverband in Sao Paulo gegründet wurde, ständig erweitert und aufgearbeitet.

Die Namen der Personen, von denen man Stücke sammelt, sind in einer Zettelkartei aufgenommen, in der zuzüglich verzeichnet wurde und immer neu ergänzt wird, wo sich Stücke der Sammlung befinden, die jede Person betreffen. Im Zeitalter der Elektronik wurden jetzt die Zettel durch Computerdokumente ersetzt, im Prinzip blieb aber die Ordnung beibehalten, die schon der erste langjährige Institutsdirektor Karl Fouquet eingeführt hat.

Von Schriftstellern können neben den Lebenszeugnissen auch die Werke leicht aufgefunden werden, soweit sie sich im Institut befinden. Ein genealogisch interessierter Benutzer könnte dort nach seinen Vorfahren forschen oder seine eigenen Kenntnisse einbringen. Meinerseits habe ich die Geschichte der Journalisten Hans von Franckenberg, Joseph Winiger und Adolph Uhle dort teilweise rekonstruieren können. Die zwei letzteren waren 1889 als Frühsozialisten in Argentinien aufgetreten, aber ihre Geschichte verlor sich nach 1890 im Ungewissen – jetzt weiß ich, dass Uhle nach Brasilien weitergewandert ist und dort noch lange gewirkt hat, und dass der Schweizer Winiger ein unstetes Leben führte, er arbeitete bald im Dienst des Argentinischen Tageblatts oder der Deutschen La Plata Zeitung, bald für die brasilianische Zeitungen Germania oder Die neue Zeit, dazwischen auch jahrelang in Berlin als Korrespondent der deutsch-südamerikanischen Blätter.

An diesem Institut kann man viel über die Geschichte der Deutschen, Österreicher und Schweizer in Brasilien lernen, die neben einigen Parallelen viele Verschiedenheiten zu der in Argentinien aufweist. Meine Reise hatte das Ziel, zu sehen, wie man so etwas aufbauen kann, und ich hoffe, bald diese Kenntnisse in ein zu gründendes Dokumentationszentrum der deutschsprachigen Minderheit in Argentinien einbringen zu können.

Mir scheint es höchst wünschenswert, dass in Buenos Aires ein solches Institut gegründet wird, damit hier nicht alle die Spuren verlorengehen, die heute noch im Besitz von Familien, Schulen, Vereinen und Geschäftsunternehmen die reiche Geschichte der Einwanderung bewahren. Das neu erwachte Interesse vieler Argentinier an ihrer Genealogie und Familiengeschichte dürfte dazu beitragen, die damit verbundenen Schriftstücke und Bildmaterialien als Sammelstücke zu erkennen und zugänglich zu machen.

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