Eine Stadt erwacht zum Leben

Omar Panosettis Ausstellung “Territorio” im Centro Cultural Borges

Von Susanne Franz


Vieläugige, verschachtelte Hochhäuser, aus denen seitlich Gebäudeteile wie Nasen herauswachsen, Fabrikanlagen, aus deren Schornsteinen schwarzer Rauch in den Himmel steigt – die monumentalen Gebäudekomplexe, die in den Werken des argentinischen Künstlers Omar Panosetti allgegenwärtig sind, sind auf beeindruckende Weise düster und bedrohlich – und zugleich wirken sie wie drollige und rührende Steinchen in Bauklötzchenwelten. Das liegt an dem Umfeld, in das ihr Schöpfer Pano – so nennt sich der 1960 geborene Künstler selbst – sie gestellt hat. In dem Werk “La División de Poder” (Die Aufteilung der Macht) beispielsweise stehen die Häuserschluchten wie in so vielen Bildern Panosettis auf einem Berg, nur ist der in diesem Fall der Kopf eines Monsters. Links und rechts von den Häusern stehen sich zwei große Hunde gegenüber, von denen einer im Begriff ist, einen der nasenartigen Gebäudeflügel abzubeißen. Oder vielleicht will er die Häuser festhalten, denn sie scheinen über die Stirn des Monsters nach unten abzustürzen. Ein Schriftband zieht sich unterhalb der Häuser über den Monsterkopf, der Titel des Werks in Großbuchstaben und verkehrt herum geschrieben. Auch dieses Element findet sich in vielen der verspielt-ironischen, aber immer sozialen Zündstoff und kritische Betrachtungen enthaltenden Werke Omar Panosettis.

Wer kämpft hier um die Macht? Karikaturistisch sind die Hunde mit weiblichen bzw. männlichen Geschlechtsmerkmalen ausgestattet – ist es ein Kampf der Männer gegen die Frauen? Stellen die Häuser Institutionen der (staatlichen) Macht dar, die solide Fundamente zu haben scheinen, die jedoch von dem zwielichtigen Grund, auf dem sie gebaut sind, verschlungen zu werden drohen?

Die Ausstellung “Territorio” lädt zum Verweilen ein – nicht nur wegen der Qualität der Kunstwerke. Panosettis Schau ist die 51. im Rahmen der Reihe “La línea piensa” (Die denkende Linie), die die berühmten argentinischen Künstler Luis Felipe Noé und Eduardo Stupía im Centro Cultural Borges betreuen. Sie wird den ganzen Sommer bis Ende Februar im Foyer-Bereich des Centro Cultural Borges, bevor man mit der Rolltreppe nach oben fährt, gratis zu sehen sein. Eine klimatisierte Oase an heißen Tagen, wurde der exzellent beleuchtete Rundgang durch Panosettis Werk von Stupía persönlich gestaltet. Man spürt, dass dieser Panos Werke liebt: Die Ausstellungsmontage ist noch mal ein Kunstwerk für sich.

Ältere und neuere Werke treten an manchen Wänden in einen Dialog, einige Bilder hat der Künstler auf Anregung Stupías einfach an die Wand gezeichnet – flüchtige Kunst, die nach Ende der Ausstellung übermalt wird. Die auf großen Foamboardplatten – ein neues Lieblingsmaterial Panosettis – gefertigten Werke sind an die Wand genagelt, einige Blätter sind aus Zeichenblöcken einfach ausgerissen, was der Schau einen spontanen, erfrischend “un-perfekten” Charme gibt. Und das passt einfach gut zu Panosettis Oeuvre.

In jüngster Zeit taucht ein Golem-ähnliches, geheimnisvolles Monstrum in Panosettis Bilderwelt auf, wie in dem Werk “Matadero”, ein gutes Beispiel für sein Idearium. Der Matadero (Schlachthof) ist einem Bauwerk nachempfunden, das der italienische Architekt Francisco Salamone um 1910 in Azul in der Provinz Buenos Aires schuf. Panosetti bewundert die monumentalen Werke dieses Bauherrn, sie inspirieren viele seiner Zeichnungen und Gemälde. Der Golem steht stumm neben dem Schlachthaus, zu seiner Linken befindet sich ein Berghang, vielleicht die Seite eines Vulkans, der Lava speit. Auf dem Berg stehen einige Häuser mit flachen, knallroten Dächern, sie scheinen Gesichter zu haben, aus ihren “Mündern” quellen weißliche, wasserähnliche Fontänen. Der Himmel besteht aus ockerfarbenen Ovalen, die durch Arme oder Straßen miteinander verbunden sind – ein Motiv, das Panosetti den australischen Aborigenes abgeschaut hat, wie er freimütig in einem Interview erzählt. Was das Bild bedeutet, will er nicht sagen, die Interpretation möchte er dem Betrachter seiner Werke überlassen.

Panosettis Bilder besitzen eine ganz besondere ästhetische Kraft, denn obwohl in ihnen viel Humor mitschwingt, sind sie doch oft bedrohlich, scheinen Weckrufe zu sein oder Warnungen vor dem Untergang. Der Golem, laut Panosetti “eine Präsenz der Nacht”, ist ein stummes Symbol für diese Warnung, und die Stadt, der der Künstler Leben einhaucht, scheint sich wehren zu wollen, indem sie Arme, Ohren, Nasen, Augen und Münder entwickelt, unbeholfene Buchstaben schreibt und auf Bergspitzen Schutz sucht, vielleicht um Bastion zu sein für menschliche Zivilisationen, oder um zumindest eine Illusion von Sicherheit zu vermitteln.

  • Omar Panosetti, “Territorio”, Zeichnungen, Gemälde
  • Im Rahmen des von Luis Felipe Noé und Eduardo Stupía koordinierten Zyklus “La línea piensa”
  • Centro Cultural Borges, Viamonte/San Martín
  • Mo-Sa 10-21, So 12-21 Uhr, Eintritt frei
  • 16.12.2011-Februar 2012

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