Aus der Stille

“Las acacias” von Pablo Giorgelli

Von Anna Weber

Musik darf im Film niemals die Bilder stützen, sondern muss für sich alleine wirken, schrieb einst Robert Bresson. Bilder, welche der Musik als Gehhilfe bedürfen, gehören nicht auf die Leinwand. Pablo Giorgellis Film “Las acacias” kommt ohne Musik aus. Und Worte braucht er eigentlich auch fast keine.

Aufregungslos, ganz ohne Lärm, hebt der Film seinen ersten Protagonisten Rubén (Germán da Silva) aus der Stille. Rubén ist kein Mann vieler Worte. Seit Jahren transportiert er als Lastwagenfahrer Holz von Asunción in Paraguay nach Buenos Aires, und da sitzt niemand auf dem Beifahrersitz, mit dem er sprechen könnte. Auch eine Familie hat Rubén nicht. An den Sohn, den er seit acht Jahren nicht mehr gesehen hat, erinnert lediglich ein Foto, sorgsam aufbewahrt im Handschuhfach. Doch davon weiß man zu Beginn des Films noch nichts. Man vermutet es höchstens, wenn Rubén in routinierter Einsamkeit im Halbdunkel einer Raststätte sein Mittagessen hinunterschlingt.

An der Einsamkeit und Stille ändert auch Jacinta (Hebe Duarte) nichts, die kurz vor der Grenze mit ihrem Baby Anahí (Nayra Calle Mamani) auf den Beifahrersitz klettert, um nach Buenos Aires zu gelangen. Es dauert Stunden, bis endlich der erste Mate angeboten wird, bis rücksichtsvoll eine Zigarette ausgedrückt wird, um den Säugling vom Weinen abzuhalten, bis ein Lächeln getauscht wird und ein “Gracias” in der Luft der Führerkabine hängt. Und erst viele Kilometer später folgen die Worte.

In dem Moment, da endlich nach dem Namen gefragt wird, und die Gespräche einsetzen, da bemerkt man, wie genial dieser Film ist. Ohne Musik, ohne Worte, ist es dem Film gelungen, Rubéns Geschichte zu erzählen, bevor dieser überhaupt den Mund geöffnet hat. Knappe Bildskizzen tönen all die Geschichten an, die später aus dem Handschuhfach quellen.

Doch nicht die Stille, sondern die Geduld ist die große Stärke Giorgellis. Kilometer um Kilometer wird abgespult, Schicht um Schicht zweier Lebensgeschichten wird abgetragen. Die Vergangenheit wird nicht seziert, sondern vorsichtig ausgegraben, abgestaubt und ausgelegt. Wie bei vielen Ausgrabungen werden nicht alle Teile gefunden. Es bleiben Lücken, das Puzzle ist unvollständig. Der Zuschauer wird zur imaginativen Mitarbeit gezwungen und füllt die Lücken mal mit Beklemmung, mal mit leisem Lächeln.

Was sich auf dieser Lastwagenfahrt zwischen Fahrer- und Beifahrersitz genau abspielt, das ist schwer zu beschreiben. Die Einsamkeit zieht sich langsam in den Lastenraum zurück und macht Platz für Unsagbares, für eine neue Stille, für das, wofür die Worte fehlen. Aber als die Lasten schließlich in Buenos Aires ankommen, ist da etwas Leises, Zerbrechliches gewachsen. Um das Wort zu wagen: Da ist Liebe.

  • “Las acacias”, Argentinien 2011, 82 Min.
  • Regie: Pablo Giorgelli
  • Buch: Pablo Giorgelli, Salvador Roselli
  • Mit Germán da Silva, Hebe Duarte, Nayra Calle Mamani
  • Im Espacio INCAA Km 0 Gaumont, Av. Rivadavia 1635, Buenos Aires
  • 13.00, 16.45, 21.40 Uhr
  • Im Rahmes des Sommerprogramms der Stadt Buenos Aires, “Verano en la Ciudad”, läuft “Las acacias” am 5.2. um 21 Uhr gratis im Autokino des Rosedal von Palermo.

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