Vorhang auf, Licht aus
“Ojos Cerrados” im Theater La Comedia
Von Sebastian Loschert
“Eine Vorführung, in der man die Schauspieler nicht zu Gesicht bekommt – welch neue Infamie soll das wieder sein?”, könnte der Theaterfreund befürchten, bevor er die Vorführung von “Ojos Cerrados” im Theater La Comedia betritt. “Die erste sinnliche Theatervorstellung der Welt”, verspricht die Ankündigung: “Das Stück der Gruppe AviTantes ist eine liebevolle und intime Begegnung mit sich selbst. Es lädt Dich dazu ein, das zu sehen, was man sehend nicht sieht.”
Nun, keine Sorge, es handelt sich bei dem Werk mit den geschlossenen Augen also keinesfalls um eine avantgardistische Veranstaltung, der die Zuschauer grübelnd und ratlos gegenüberstehen. Eher neugierig und etwas aufgeregt wie vor einer Achterbahnfahrt harren die Gäste zu Beginn der Vorstellung in einem dunklen Vorraum der Dinge, die da kommen mögen. Eine Augenbinde sorgt für komplettes Verschwinden des ersten Sinnes, eine beschwörende Stimme verlangt, man solle sich mit Leib und Seele auf das Unsichtbare einlassen.
Das Getuschel der Menge verstummt, als man von sanften Händen an einen unbekannten Ort geführt wird. Jeder Besucher wird nun in der kommenden Stunde alleine sein, mit sich und seinen verbleibenden Sinnen. Hören, Riechen, Schmecken und Tasten werden ausreichen müssen. Gleichzeitig befindet er sich ausgeliefert an die wundersamen Einfälle der “AviTantes”, jener eigenartigen und äußerst wandelbaren Bewohner, die La Comedia an diesem Abend bevölkern.
Ihr Konzept des sinnlichen Theaters entwickelten die Macher von “Ojos Cerrados” ursprünglich – vor etwa zehn Jahren – in experimentellen Musikkonzerten, in denen sie das Publikum baten, die Augen zu schließen. Durch die Reaktionen der Zuhörer sei ihnen damals klar geworden, dass das künstlerische Resultat nicht nur von den Künstlern selbst, sondern ebenso vom Publikum abhänge, schreiben die “AviTantes” auf ihrer Homepage: “Es gibt also so viele Kunstwerke wie anwesende Gäste.”
Und tatsächlich: Es ist eine einmalige, starke und persönliche Erfahrung, Gesang, Wind, Gerüche, Geschmäcker, Berührungen ohne ihre offensichtliche Herkunft auf sich wirken zu lassen.
Interessant wäre es zwar gewesen, die spontane Interaktion der Gäste untereinander noch etwas auszureizen, auch eine zusammenhängendere Dramaturgie hätte nicht geschadet – mehr Kunst und weniger Achterbahn. Doch nicht zuletzt die Zahl von 28.000 Gästen, die das Stück in neun Theaterspielzeiten in La Comedia (nicht) zu Gesicht bekamen, spricht für den Erfolg dieses Konzepts: Wunderbar manipulativ und sehr sinnlich!
(Informationen bei Alternativa Teatral).