Einmal hin und zurück

“Semanario Israelita”-Herausgeber und “Tageblatt”-Redakteur Werner Max Finkelstein in Berlin gestorben

Von Sebastian Loschert

“Welch ein abenteuerlicher Lebensweg!”, bewunderte die Frankfurter Allgemeine Zeitung 2005, als sie Werner Max Finkelstein in seiner Berlin Wohnung besuchte. Dass er seinen Lebensabend in Berlin verbringen würde, hätten seine Eltern bei seiner Geburt im ostpreußischen Gumbinnen im Jahr 1925 noch vermuten können – aber kaum das wechselvolle Leben, das dazwischen lag: Flucht um die halbe Welt, unzählige Jobs in Dschungel, Mine und Großstadt. Dann Posten als Chefredakteur und Herausgeber in Buenos Aires. Schließlich, 1999, im Alter von 74 Jahren, Rückkehr mit einer neuen Liebe nach Berlin.

Es waren der Machtantritt der Nazis und der Boykott jüdischer Geschäfte, die die Familie Finkelstein 1935 dazu zwangen, Gumbinnen und ihr gutgehendes Geschäft zu verlassen und nach Berlin zu ziehen. Ab 1938 wurde für Juden jedoch auch dort die Luft zu dünn zum Atmen. Der 14-jährige Max wurde deshalb mit dem Kindertransport nach Schweden geschickt, was für ihn der Beginn einer langen Odyssee werden sollte.

Erst zwei Jahre später sollte Finkelstein seine Mutter in La Paz wiedersehen, nachdem er alleine eine Zug- und Schiffsreise über die Sowjetunion, Asien und Nordamerika bis Bolivien unternahm. Doch diese Reise, ebenso wie die folgenden sieben Jahre in Bolivien, erlebte er eher als spannendes Abenteuer denn als Schicksalsschlag. Die teils unglaublichen Geschichten, die er bei seinen Jobs im Gefängnis von La Paz oder auf Alligatorenjagd in Trinidad erlebte und die er auch in der Redaktion gerne zum Besten gab, lassen sich in seiner Biographie “Jude, Gringo, Deutscher” nachlesen.

In Bolivien sind er und seine Emigranten-Clique jedoch immer Fremde geblieben. Mehr Offenheit erhoffte man sich stattdessen vom europäischeren Buenos Aires. Tatsächlich schien er dort nach seiner Einreise zu Fuß über die “Grüne Grenze” heimisch zu werden: Er gründete eine Familie, hatte zwei Kinder. Und bewarb sich 1963 auf eine Anzeige des “Argentinischen Tageblatts”: “Für mich war klar, dass ich nun diese Chance ergreifen und mich auf die Stelle bewerben musste!” Er bekam den Posten, obwohl ein Akademiker gesucht und Finkelstein ohne jeden Schulabschluss war.

Ein Beispiel für seine arbeitsame Unbekümmertheit gibt Finkelstein in seiner Biographie: Als er über eine Rede des damaligen Präsidenten Arturo Illia zum “Tag der Industrie” berichten sollte, und diese Aufgabe mit seinem geplanten Wochenendausflug ans Meer kollidierte, entschloss er sich kurzerhand, “das übliche Gerede zu einem derartigen Anlass selbst zu schreiben”. Am Montag wurde ihm dann offenbart, dass das Tageblatt als einzige Zeitung die Rede des Präsidenten brachte: Illia hatte sie nämlich abgesagt.

Sein Lebenswerk sollte jedoch eine andere Zeitung werden. Denn 1979 wurde ihm die Verantwortung für das “Semanario Israelita” übertragen, das er in den folgenden zwei Jahrzehnten beinahe im Alleingang auf die Beine stellte, zum Schluss auch aus der eigenen Tasche mitfinanzierte. Als “Unabhängiges Jüdisches Wochenblatt” sollte es das gesamte, vielstimmige Bild der “Immigrantenschicksalsgemeinde”, wie er es nannte, darstellen. Für seinen Einsatz für die Verständigung zwischen Juden und Deutschen erhielt er 1993 das Verdienstkreuz Erster Klasse.

Doch trotz alledem konnte sich Finkelstein auch in Buenos Aires nicht richtig einleben: “Wir waren immer die Gringos”, sagte er in einem Interview 2001 über die Emigranten erster Generation. Eine neue Liebe gab dann den Anstoß dafür, wieder nach Deutschland zurückzukehren und schweren Herzens den Abschiedsartikel seines Semanario mit dem Wort “Aus!” zu überschreiben. Im Semanario lernte er die 49 Jahre jüngere Praktikantin Kerstin Schirp kennen, beide verliebten sich ineinander und fassten den Entschluss, nach Berlin zurückzukehren. Dort diktierte er ihr seine Biographie. “Ich bin nach Hause zurückgekehrt!”, lautet der letzte Satz. Er war dort beim Jüdischen Museum und, bis zuletzt, beim Berliner Arbeitskreis Jüdischer Sozialdemokraten aktiv.

In dieser Woche ist das tatenreiche Leben zu Ende gegangen. Werner Max Finkelstein, 20 Jahre lang Macher des “Semanario Israelita” in Buenos Aires und über 25 Jahre lang Journalist und Redakteur im “Argentinischen Tageblatt”, ist am Diestag im Alter von 86 Jahren in Berlin gestorben.

Foto:
Werner Max Finkelstein (2.v.l.) in der Redaktion des “Argentinischen Tageblatts”. Vorne Chefredakteur Peter Gorlinsky.

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