Mit Musik gegen den Wahnsinn

Tomás Lipgots Film “Moacir” erzählt die Geschichte eines ganz besonderen Protagonisten

Von Laura Wagener

Moacir Dos Santos ist der Held des nach ihm benannten Films “Moacir” von Tomás Lipgot. Derjenige, der das argentinische Kino mit Interesse verfolgt, wird nicht lange brauchen, bis er den charismatischen Brasilianer mit dem breiten Lächeln auf den Kinoplakaten wiedererkennt, denn bereits im letzten Jahr erschien Moacir auf den Kinoleinwänden.

Lipgots letzter Film “Fortalezas” porträtierte verschiedene Personen, die auf verschiedenste Weisen in verschlossenen Institutionen um ihre Identität und Integrität kämpfen. Den Brasilianer Moacir lernte er auf der Suche nach Charakteren im psychiatrischen Krankenhaus Borda kennen, in dem dieser bereits seit mehr als einem Jahrzehnt interniert war.

Moacir Dos Santos war ursprünglich auf der Flucht vor Armut, psychologischen Problemen, dem Tod seiner Mutter und auf der Suche nach einer Musikkarriere, gelockt vom Tango, nach Argentinien gekommen. Wie Lipgot erzählt, hatte Moacir in Brasilien bereits erste musikalische Erfolge erzielt. Sein Metier seien Karnevalsmusik und Samba seiner Kindheit, also etwa der 50er Jahre, vor dem Boom des Bossanova. 1984 bestand sein erster Behördengang in Buenos Aires dann darin, die 12 von ihm geschriebenen Lieder in der Sociedad Argentina de Autores y Compositores de Música (SADAIC) registrieren zu lassen.

Trotz seines intuitiven Talents hat es der Brasilianer jedoch nie auf die Bühnen der Welt geschafft, da bei ihm nach einiger Zeit in Argentinien, wieder verarmt und allein, paranoide Schizophrenie diagnostiziert wurde und er im Borda interniert wurde.

Nachdem Lipgot und Moacir sich besser kennengelernt hatten, erzählte Moacir dem Regisseur von seinen registrierten Liedern. Er selbst dachte jedoch, dass diese längst nicht mehr auffindbar sein würden. Nach dem Drehende von “Fortalezas” reifte in dem 34-jährigen Lipgot der Wunsch, dem am Leben gescheiterten Musiker einen Herzenswunsch zu erfüllen und ihm zu ermöglichen, eine eigene CD aufzunehmen. Er im Gegenzug wollte dieses Unternehmen filmen.

Er besorgte sich vom SADAIC die Lieder des Brasilianers und war zutiefst überrascht, als er erfuhr, dass Moacir seit “Fortalezas” nach über 15 Jahren Internierung tatsächlich die eigenständige Entlassung aus dem Krankenhaus gelungen war: “Umso mehr erhärtete sich mein Entschluss, dass das Leben dieses Mannes mindestens einen Film verdient hatte!”

An der Seite Sergio Pángaros, welcher die Lieder Moacirs musikalisch arrangierte und als Produzent des Brasilianers in Aktion tritt, wird der Traum des in die Jahre gekommenen Musikers wahr und er kann endlich eine CD mit seiner eigenen Musik aufnehmen. Der Film “Moacir” dokumentiert diesen Prozess. Er ist jedoch nicht rein dokumentarisch, sondern arbeitet sich entlang eines Skripts, das dem Zuschauer die verschiedenen Aspekte der Persönlichkeit Moacirs nach und nach enthüllt.

So zeigen die ersten Szenen den 65-Jährigen in seiner kleinen Wohnung im Viertel Constitución, wo der exzentrische Musiker und Künstler über sein Leben und seine Vergangenheit erzählt. Die Liebe zum Karneval des Brasilianers äußert sich beispielsweise in seinem Wunsch nach Verkleidung. Tritt er als Künstler auf, so sieht man ihn nicht ohne Perücke und Anzug. Im privaten Leben in den Straßen von Buenos Aires bewegt sich der ältere Mann eher unsicher und vorsichtig, doch sobald Perücke und Anzug sitzen, wird er zum Film- und Musikstar, der enthusiastisch die Hände aller Umstehenden schüttelt und sich feiern lässt.

Resolut setzt er im Tonstudio seinen Willen durch und weist ernst die Musiker in die Schranken. Dann wiederum sieht man ihn schelmisch und herzlich lachen, singen und tanzen und man kann gar nicht anders, als sich mit ihm zu freuen. Deutlich wird, dass für Moacir Dos Santos die Musik sein Leben ist. Sie ist das, was in jahrzehntelanger Internierung und unter Psychopharmaka sein roter Faden war, was ihm den Lebenswillen bewahrt hat.

Tomás Lipgot beweist mit “Moacir” sein untrügliches Gespür für erzählenswerte Geschichten aus dem Leben. Nach “Moacir” können wir uns schon auf weitere Werke Lipgots freuen, denn der unermüdliche argentinische Regisseur wird noch in diesem Jahr “El árbol de la muralla” präsentieren, einen Film über den jüdischen Auschwitz-Überlebenden Jack Fuchs, der nach Argentinien emigrierte. Außerdem arbeitet er bereits an seinem ersten Animationsfilm, der das Gilgamesch-Epos thematisieren wird.

Vorführungen des Films “Moacir” finden im Kino Gaumont, Artecinema und in ausgewählten weiteren Kinos statt. “Moacir” wird außerdem im Malba ausgestrahlt, wo diesen Samstag und Sonntag, sowie voraussichtlich an folgenden Sonntagen, ein Liveauftritt des Künstlers vorgesehen ist.

Weitere Informationen zum Film finden Sie hier.

Fotos von oben nach unten:

Filmplakat von Tomás Lipgots “Moacir”.

Regisseur Tomás Lipgot erfüllte Moacir seinen Traum.

Moacir mit Sergio Pángaro (links).

Neue Lebensfreude: Moacir Dos Santos.

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