Projekt über den gesunden Menschenverstand

Die argentinisch-schweizerische Ko-Theaterproduktion “CMMN SNS PRJCT” gastiert – zum Glück – erneut in Argentinien

Von Mirka Borchardt

Der gesunde Menschenverstand ist eine praktische Sache: Er sagt uns, wie wir uns in bestimmten Situationen verhalten sollten, ohne dass wir lange darüber nachdenken müssten: eine internalisierte Handlungsanweisung, die das Leben erleichtert. Aber ist der gesunde Menschenverstand wirklich verständig, ist er tatsächlich gesund? Ist es beispielweise sinnvoll, Schulden zu bezahlen, indem man mehr Schulden macht? Warum gibt es Bücher und Filme, die “man kennen muss”, und andere, die man offensichtlich nicht kennen muss? Warum definieren wir Eigentum so wie wir es tun, und nicht anders?

Es sind solcher rhetorischen Fragen einige, die Laura Kalauz und Ignacio Sánchez Mestre bei ihrer theatralischen Inszenierung “CMMN SNS PRJCT” in den Raum stellen, ohne sie zu beantworten. Oder besser gesagt: Sie stellen diese Fragen nicht, der Zuschauer stellt sie sich selbst, während er ihnen zuschaut, er stellt sie sich ganz automatisch, so wie er automatisch die fehlenden Vokale ergänzt, wenn er “CMMN SNS PRJCT” liest: “Common Sense Project”, Projekt des gesunden Menschenverstandes.

Die Darsteller geben in diesem Projekt nur die Denkanstöße, mit Hilfe einer Reihe von Materialien, Statistiken, politischen und philosophischen Theorien, Fragmenten zeitgenössischer Tanzchoreographien und Spielen; das Ganze zu einem runden Konzept auszubauen, bleibt dem Zuschauer überlassen. So wie es ihm überlassen bleibt, die Fragen zu beantworten. Ist der Krieg eine Choreographie? Wieso hat Lauras linke Hand keine Minderwertigkeitskomplexe gegenüber der rechten? Wäre das Publikum eine repräsentative Abbildung der Erdbevölkerung, wie viele Zuschauer wären unterernährt?

Ohne offensichtlichen Zusammenhang wechseln die beiden Darsteller von einem Thema zum anderen, aber es wirkt, als läge dem ein verborgenes rhythmisches Konzept zugrunde (obwohl die permanente Fahrstuhlmusik im Hintergrund jeder Rhythmik entbehrt), so dass es am Ende scheint, als hätte (fast) jede Absonderlichkeit dieser Welt, in der wir leben, Erwähnung gefunden. Ohne dass freilich Alternativen angeboten würden: Denkanstöße ohne neue Denkansätze, so könnte eine passende Kurzbeschreibung der Inszenierung lauten. Trotzdem: Als am Ende die Bilanz des Abends gezogen wird und 120 Pesos übrigbleiben, stimmt das Publikum mit überwältigender Mehrheit dafür, sie den beiden Künstlern zu überlassen (anstatt sie zu verbrennen, wie einer der vielen Alternativvorschläge lautet). Zu Recht.

Weitere Aufführungen: 24. Februar, 2. und 9. März, 23 Uhr, im Theater La Carpintería, Jean Jaures 858. Eintritt 50 Pesos, für Studenten und Rentner 40 Pesos.

“CMMN SNS PRJCT” wurde von der in der Schweiz lebenden Argentinierin Laura Kalauz gemeinsam mit dem Schweizer Performance-Künstler Martin Schick erarbeitet. Bei den momentanen Auftritten in Buenos Aires schlüpft der argentinische Schauspieler Ignacio Sánchez Mestre in die Rolle Schicks. “CMMN SNS PRJCT” wurde im März 2011 in Berlin uraufgeführt und dann in Hamburg, Düsseldorf, Wien, Zürich und Buenos Aires gezeigt. Für 2012 ist nach dem Gastspiel in Buenos Aires eine Tour nach Shanghai und Beijing, China, und in die europäischen Städte Oslo, Gent, Brüssel, Bern, Fribourg, Paris, Amsterdam, Straßburg, München sowie Fellin und Wesenberg in Estland vorgesehen.

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