Versuch über die deutsche Vergangenheit

Die Kompanie “La rosa blanca” inszeniert ein Stück über Hitlers Sekretärin

Von Mirka Borchardt

Letztens, im Bus, eine Frau und ein Mann im Gespräch über einen Zeitungsartikel über Ex-Diktator Jorge Rafael Videla: Er: “Videla ist der argentinische Hitler, sage ich!” Sie: “Schlimmer! Hitler hatte es ja nur mit einer Rasse (sic!), aber Videla…” Auf solche sehr eigenen Sichtweisen des Nationalsozialismus stößt man nicht selten in Argentinien. Für jemanden, der in Deutschland aufgewachsen und dem die jüngere deutsche Geschichte einigermaßen präsent ist, wirkt das mehr als befremdlich. Die Ankündigung eines argentinischen Theaterstücks über Traudl Junge, ehemalige Sekretärin Hitlers, ruft dementsprechend Skepsis hervor. Umso mehr, als sich die Kompanie “La rosa blanca” den Dokumentarfilm “Im toten Winkel” von André Heller und Othmar Schmiderer als Arbeitsgrundlage genommen hat, einen Film, der ausschließlich aus Interviews mit Traudl Junge besteht, aber gerade deswegen ungeheuer eindringlich ist. Wie kann das auf Bühnenmaß übertragen werden, fragt man sich, und erwartet nichts Gutes. Leider nicht ganz zu Unrecht.

Eigentlich hatte sie Tänzerin werden wollen, sagt Traudl Junge im Film. Das nimmt Regisseurin Claudia Carbonell als Anlass, um “Bajo once metros de cemento” mit zwei tanzenden Frauen (Georgina Rey und Matilde Campilongo) beginnen zu lassen, in Rot gekleidet, vor schwarzem Hintergrund auf schwach beleuchteter Bühne. Das Tanzelement, das abgesehen von dem Hinweis auf Junges Backfischwunsch keine weitere sinnstiftende Funktion erkennen lässt, ist einer der roten Fäden des Stückes. Ein zweiter, wichtigerer, ist Sophie Scholl. Im Interview erzählt Junge, erst als sie eines Tages an einer Gedenktafel für das Mitglied der “Weißen Rose” vorbeigegangen sei und festgestellt habe, dass sie im selben Jahr in Hitlers Dienste trat, in dem Sophie Scholl hingerichtet wurde – beide 22 Jahre alt zu dieser Zeit -, habe sie angefangen, sich nach ihrer persönlichen Schuld zu fragen.

Scholl taucht immer wieder auf im Stück, als schlechtes Gewissen Junges, als Gespenst oder als imaginierte Spielkameradin. Vor allem aber als Hinweis auf die Entscheidungsfreiheit eines jeden, als lebendiges Ausrufungszeichen: “Du hattest die Wahl!”, ohne dass das explizit gesagt werden müsste. Die Gegenüberstellung von Junge und Scholl ist eine der besten Ideen der Inszenierung.

Die Idee dagegen, eine Bemerkung Junges über Hitlers gespaltenes Verhältnis zur Erotik in eine ausladende Szene voller nackter Haut und Rotlicht zu übersetzen und zu allem Überfluss einen makaber clownesken Hitler auftreten zu lassen, ist weniger gut. Genau wie der Einfall, den Kampf um das eigene Gewissen, das Zurückschrecken vor der eigenen Schuld mittels eines heulenden Kindes zu verdeutlichen, das die Wirklichkeit nicht wahrhaben will – auch das ist gründlich misslungen. Nichts hat dieses Bild mit der tatsächlichen Traudl Junge zu tun, die durchaus reflektiert und sachlich zu sprechen vermag. Da hilft auch kein Hinweis auf die künstlerische Freiheit.

Als Einführung in eine argentinische Perspektive auf die deutsche Vergangenheit ist das Stück aufschlussreich. Ansonsten ist der Dokumentarfilm von Heller und Schmiderer sehr zu empfehlen.

Sonntags 19.30 Uhr, “El Tinglado Teatro”, Mario Bravo 948. Eintritt 60 Pesos.

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