Gestalten

Jeder kann etwas erschaffen

Von Friedbert W. Böhm

Das Verb “gestalten” ist gleichbedeutend mit “schaffen”, “Form geben”. Das bedeutet mehr als “machen”. Gott hat die Welt nicht gemacht, er hat sie erschaffen. Gestalten bedeutet, Nichts in Etwas zu verwandeln.

Bis vor nicht langer Zeit war der Wert des Schaffens, Gestaltens, Gemeingut in der Westlichen Welt. Erfinder, Ingenieure, kluge Handwerker, produktive Unternehmer, Komponisten, Literaten, weitsichtige Politiker und Diplomaten, Künstler, Forscher, Wissenschaftler und kreative Kaufleute besaßen den Respekt der Gesellschaft. Sie brachten ihr Neues, Fortschritt, Wohlstand und Vergnügen.

Und nicht nur die Gesellschaft bereicherten sie. Für die Gestalter selbst war in erster Linie die Befriedigung über das gelungene Werk, die gesellschaftliche Anerkennung, Belohnung für den Erfolg. Und nicht etwa nur das verdiente Geld.

Allerdings begann irgendwann in den Vereinigten Staaten eine folgenschwere Verwechslung Raum zu greifen: Geld wurde Synonym für Anerkennung und notwendige Voraussetzung für Befriedigung. Die erste Frage an einen neuen Bekannten nach der Vorstellung war nun “and how much do you make?”. Wer nicht viel “machte”, galt nicht mehr viel. Es kam nicht mehr darauf an, aus Nichts Etwas zu machen, sondern Geld.

Inzwischen ist der “Macher” auch im Rest der Welt zum Idol geworden. Gewiss, es gibt immer noch sehr viele kreative Menschen, die Nützliches, Schönes, Vergnügliches schaffen, aber unsere Bewunderung gilt in erster Linie denjenigen, welche dies zu Geld machen. Manager, Marketingprofis, Makler, Investoren, Banker, Berater, Anwälte eignen sich kreative Ideen und Projekte an – das Etwas -, um daraus Geld zu machen – Nichts. Und wir Konsumenten feiern diese Leute, indem wir aus Etwas – immer kurzlebigeren Gütern – Schlimmeres als Nichts machen: Abfall. Es stößt uns überhaupt nicht mehr auf, zu lesen, dass das Sozialprodukt – die Summe aller Leistungen der Gemeinschaft – zu 70 % aus Konsum besteht. Ein “Produkt”, das ursprünglich so etwas wie ein mühsam gefördertes Material oder gewissenhaft gefertigtes Werkstück gewesen war, ist zu einer nebelhaft-verdächtigen, statistischen Größe geworden.

Gestalten als Lebensinhalt ist heute ein Privileg weniger Glücklicher. Wir Anderen sitzen an einem Fließband, einem Zeichen- oder Schreibtisch, einem Computer und versuchen, das uns von der arbeitsteiligen Gesellschaft zugewiesene Tausendstel einer Maschine, eines Gebäudes, Projekts, Romans, einer Umsatzvorgabe oder Forschungsaufgabe zu optimieren. Vom fertigen Werk erfahren wir bestenfalls aus der Zeitung. Schafft das Befriedigung? Selbst wenn wir für unser Tausendstel gut bezahlt worden sind? Vermindert es unseren Frust, wenn wir befördert werden, unsere Gestaltungsmöglichkeit etwa von einem Tausendstel auf ein Hundertstel steigt?

Glücklicherweise hat uns die Geld-ist-Alles-Gesellschaft in der Regel noch nicht so im Griff, dass wir nicht noch über einige Freizeit verfügen könnten – manchmal sogar recht viel davon. Wie wäre es, wenn wir sie weniger dem Konsum und mehr der Gestaltung widmen würden? Jeder kann gestalten: eine raffinierte Mahlzeit, wenn es nicht ein ganzer Garten sein kann, ein Bonsai, eine eigene Meinung über ein weitum oberflächlich kommentiertes Thema, eine Vogeltränke, ein Kleidungsstück, einen Bilderrahmen, einen schönen Brief, eine Gesprächsrunde.

Man muss nur anfangen damit. Am Besten als Kind. Am Befriedigendsten und Verdienstvollsten ist das Gestalten von Kindern zu Gestaltern.

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