Schulen

Wie Chancengleichheit erreicht werden könnte

Von Friedbert W. Böhm

Im Städtchen meiner Kindheit gab es eine beinahe vollkommene Grundschule. Eine staatliche natürlich, denn für private hätte es nicht ausreichend Nachfrage gegeben. Die Privilegien waren auf Seiten der Armen, denn wenn die Leistungen dieser Schule nachzulassen drohten, sogrten die Wohlhabenden für Besserung. Und hätte ein Wohlhabender einmal durch Spenden das Zeugnis seines schwachen Sprösslings aufzubessern versucht, es wäre sofort Stadtgespräch geworden und die Armen hätten nicht mehr bei ihm eingekauft.

Ich sagte “beinahe” vollkommen. Einen Fehler hatte die Schule nämlich, den, für Jungen und Mädchen getrennt zu sein. Eine frühe Gemeinschaft zwischen Hosen (welche damals nur die Jungs trugen) und Röcken war im katholischen Bayern nicht erwünscht. Dies erschwerte mir Sechsjährigem (der keine Schwester hatte) das Verständnis des sechsten Gebots. Worin der grundsätzliche Unterschied zwischen den Geschlechtern bestand, war mir sehr lange unklar.

Höhere Schulen gab es auch, Mittel-, Realschule und Gymnasium. Sie waren natürlich wieder nach Geschlechtern getrennt, jetzt mit etwas mehr Berechtigung (und etwas weniger Erfolg). Die “Englischen Fräulein” kümmerten sich um die Mädchen und die Maristen um die Jungen. Beide Oberschulen waren privat. Hier war die Nachfrage gegeben, denn die Institutionen hatten Internate angegliedert; sie lebten von den Beiträgen und Spenden wohlhabender Eltern auswärtiger Schüler.

Ich besuchte die Maristenschule. Die Fratres waren recht ordentliche Pädagogen, wiewohl der Lehrstoff ständig irgendwie nach Weihrauch roch. Das war das eine Manko. Wer in Religion eine Eins hatte, wohl auch noch in der hauseigenen Kapelle ministrierte, hatte es etwas leichter als ein weniger eifriger Kirchgänger, die “Ungenügend” in Deutsch oder Mathe zu vermeiden.

Und das andere Manko war der nie ausgesprochene, aber ständig in den Schülerköpfen vagabundierende Verdacht, spendenfreudige Eltern hätten erfolgreichere Kinder als die anderen. Zu meiner Zeit wurden die Kapelle fertiggestellt und die Sportanlagen einschließlich eines olympischen Schwimmbads angelegt, bestimmt nicht mit dem schmalen Schulgeld, das meine Mutter, eine Kriegerwitwe, erlegte.

Dann zogen wir in eine Nachbarstadt um und ich verbrachte die letzten Schuljahre in einer staatlichen Anstalt. Diese war auch nicht schlechter als die der Maristen. Natürlich gab es auch dort Lehrer mit unterschiedlichen Sympathien für die Schüler. Aber man hatte nicht den Eindruck, dass Arm oder Reich dabei eine Rolle gespielt hätte.

Meine Kinder besuchten private Anstalten vom Kindergarten bis zum Abitur. Der Grund dafür war, dass wir in Argentinien lebten und wollten, dass die Kinder auch deutschen Unterricht bekämen, den es in staatlichen Schulen nicht gab. Doch wurden an der Schule auch sehr zahlreiche Kinder einheimischer Eltern unterrichtet, die auf Deutsch keinen besonderen Wert legten (weshalb die Kinder das dann auch nicht lernten). Diesen Eltern ging es schlicht darum, ihre Kinder in einem ordentlichen Schulbetrieb mit gut ausgebildeten und geführten Lehrern zu wissen.

Das ist 35 Jahre her. Schon damals war das ursprünglich beispielhafte öffentliche Schulsystem des Landes durch allgemeine Schludrigkeit und Gewerkschaftsinteressen unterminiert. In der Folge schickten immer mehr Eltern, die es sich leisten konnten, ihre Kinder auf Privatschulen. Heute hat der Abgänger einer öffentlichen Schule recht geringe Aussichten auf einen Arbeitsplatz (es sei denn, er wäre irgendwie mit der Macht im Staate verbandelt). Wenn mein Eindruck nicht trügt, geht die Entwicklung in nicht wenigen sich für zivilisiert und fortschrittlich haltenden Staaten in die selbe Richtung.

Eine Chancengleichheit für Alle, wie sie in den Verfassungen festgelegt ist und ständig von allen politischen Parteien proklamiert wird, kann unter solchen Umständen nicht be- und noch weniger entstehen.

Man darf sich also wirklich fragen, ob die Obrigkeiten nicht gut daran täten, die Kleinstadt meiner Kindheit zu imitieren. Wenn Privatschulen verboten (und die dort derzeitig gebundenen staatlichen Mittel für Verbesserungen der öffentlichen Schulen eingesetzt) würden, wäre das nicht ein ungeheurer Anstoß für Chancengleichheit? Wer dann unbedingt seinen Kindern zusätzliche religiöse, sprachliche oder weltanschauliche Lehren zukommen lassen möchte, könnte dies ja außerhalb der regulären Schulzeit organisieren. Für Kinder von Diplomaten oder sonstigen vorübergehend im Ausland ansässigen Familien könnte es straffe Ausnahmeregelungen geben.

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