Suche nach Worten

“Golpe de Aire” eröffnete die Spielzeit 2012 des Complejo Teatral de Buenos Aires

Von Sebastian Loschert

Theaterautor und Regisseur Marcelo Mininno gilt als einer der erfolgreichsten jungen Theatermacher Argentiniens. Sein Regiedebüt “Lote 77” wurde die vergangenen vier Jahre ununterbrochen gezeigt, bekam unzählige Preise und Einladungen für internationale Theaterfestivals. Umso größer waren deshalb die Erwartungen an sein zweites Stück, “Golpe de Aire”, das am vorvergangenen Samstag im Teatro Sarmiento Premiere hatte und die Spielzeit 2012 des “Complejo Teatral de Buenos Aires” einläutete.

Ein Häuschen am Meer bildet die Bühne. Verwaschenes Blau an der Hauswand. Zugig und nicht allzu stabil sieht die Hütte aus, klapprige Fenster, eine Gasflasche im Vordergrund. Es ist Ende 2001 und Anfang 2002 in Argentinien, an irgendeinem Strand am Atlantik. Fünf junge Menschen, darunter ein Romanschriftsteller und seine Frau, feiern dort Weihnachten und verbringen die Sommerferien. Von den sich überschlagenden Ereignissen in der Hauptstadt bekommt man nicht viel mit. Im Mittelpunkt steht vielmehr, dass die Hauptperson, der Schriftsteller Franco, am Verzweifeln ist, weil ihm seine Geschichte nicht gelingen will. Sein Roman, seine Geschichte.

Vom Schreiben, vom Aussprechen, von der (Ohn-)Macht der Wörter, von Erinnerung und Schuld handelt das Werk. Gleich zu Beginn betreten die Figuren schnaufend, keuchend, atemlos die Bühne. Mit den Fingern malen sie Wörter in die Luft. Salvador, Cielo, Franco und Clara heißen sie. Treffliche Namen, die allerdings nicht halten, was sie versprechen. Krampfhaft sind sie auf der Suche nach Worten für ein Unglück, das bereits geschehen ist. Die Vergangenheit muss neu geschrieben werden.

Aber was sind schon Worte? Nicht viel mehr als Luft. Was können sie ändern, wie sollen Worte helfen können? Denn was ist schon Luft? Farb-, geruch- und geschmacklos. Nichts. Oder? Andererseits das Element, das Schiffe zu neuen Kontinenten segeln oder untergehen lässt. Sauerstoff und Stickstoff. Und dann ist da diese Sache mit der Luft, die die Großmutter des 1976 geborenen und auf dem Land aufgewachsenen Regisseurs Mininno noch wusste: Das Phänomen des “Golpe de Aire”. Ein Schmerz in Hals, Rücken oder Taille etwa komme daher, dass kalte Luft durch den Hals in den Körper gelangt sei. Dagegen helfe nur, Schwefelstäbchen auf Schulter und Hals zu reiben. Nun, das ist freilich wieder eine Illusion, ein Ammenmärchen. Wie jenes, das sich die Argentinier erzählten, just bevor in jenem Sommer die Illusionen zusammenbrachen.

Tief durchatmen! All diese flüchtigen Fragen, Wörter, Erinnerungen, Illusionen über eine Stunde lang. Ein Glück, dass sie von dem hervorragenden Schauspieler-Quintett sowie der konfliktreichen, spielerischen und temperamentvollen Handlung auf dem Boden gehalten werden. “Golpe de Aire” wird im Theater Sarmiento, Av. Sarmiento 2715, donnerstags bis sonntags um 21 Uhr gezeigt.

(Foto: Carlos Flynn)

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