Krachende Konsumkritik im schrillen Streichelzoo

Emilio García Wehbi inszeniert Rodrigo Garcías Chaosuniversum des sinnlosen Massenkonsums

Von Karlotta Bahnsen


Soll mir lieber Goya den Schlaf rauben als irgendein Arschloch (“Prefiero que me quite el sueño Goya a que lo haga cualquier hijo de puta”) sagt sich ein entnervter Familienvater und macht sich auf zu einer außergewöhnlichen Reise.

Ein menschengroßer Gorilla sitzt schwer atmend auf einem riesigen Bücherstapel, der Bühnenraum ist mit Kunstrasen ausgelegt, es gibt einen ausgestopften Hirsch, ein lebendes Huhn im Vogelkäfig neben einem Laufband Marke Fitnessstudio und einem alten Fernseher, über den Tierbilder flimmern. An die Wand projiziert steht der Prolog: Prinzipien für zynische Ethik. Dazu hört man Tierstimmen. Die Bühne gleicht einer Installation. Der Affe beginnt in sein Headset zu sprechen: Er, besagter Familienvater, hat beschlossen, seine gesamten Ersparnisse für eine Reise nach Madrid auf den Kopf zu hauen. Der Plan beinhaltet einen Einbruch in den Prado zur ungestörten Kontemplation des Spätwerks Francisco Goyas. Die Kinder unseres Protagonisten sind gegen diese Verschwendung der ohnehin jämmerlichen Ersparnisse ihres Vaters und stimmen für einen Besuch von Disneyland, da sie als Kreaturen der postmodernen Gesellschaft nach eigenen Angaben sowieso kein Interesse an geschichtlich tradierten Kulturgütern mehr haben. Aber der Plan steht. Man fliegt nach Madrid und steigt mit einem Rucksack voller Kokain und Pflastersteinen in ein Taxi, wo man sich von Peter Sloterdijk den Sinn der menschlichen Existenz erklären lassen will.

Emilio García Wehbi inszeniert das Stück als schrille interdisziplinäre Ein-Mann-Show, welche die extrem physische Theatersprache von Rodrigo García mit der visuellen Versiertheit des Regisseurs verbindet. Beeindruckend ist die Einfachheit der Effekte, mit denen er weitere Charaktere Teil des Stücks werden lässt. So entstehen die beiden Kinder lediglich durch einen Audioeffekt, der die Stimme erhöht und polyphon klingen lässt. Formal wird die Handlung von akustischen Signalen gegliedert, die den Darsteller dazu zwingen, auf das Laufband zu springen und so schnell als möglich zu laufen. Bloß nicht stehenbleiben, immer am Ball und ständig in Bewegung bleiben, um der gähnenden inneren Leere wenigstens zeitweilig zu entkommen. Dazu werden passend Werbesprüche projiziert. “Have it your way!” Das erschöpft. García Wehbi schwitzt und keucht, seine Stimme hört sich von Mal zu Mal atemloser an, und die Struktur führt eine Beschleunigung des Stückes herbei.

Die performativen Mittel, die eingesetzt werden, befreien das Stück eindrücklich von den Zwängen der Repräsentation, denn die Handlung der Geschichte wird nicht abgebildet, sie entsteht eigens durch die Nacherzählung ihres Protagonisten und schafft so ein lohnendes Theatererlebnis mit zahlreichen interdisziplinären Referenzen in einem vielschichtigen und phantasievoll gestalteten Kunstraum, der sich vom Dramentext sowohl gekonnt emanzipiert als ihn auch in seiner Komplexität hervorhebt.

  • “Prefiero que me quite el sueno Goya a que lo haga cualquier hijo de puta”
  • Regie, Dramaturgie und Schauspiel: Emilio García Wehbi
  • Text: Rodrigo García
  • Teatro Timbre 4, México 3554
  • Freitags, 23 Uhr

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