Bafici: Körner auf engem Raum

| Film / Cine | 18/4/12 | 0 comentarios

Das Filmfestival wartet mit einer großen Auswahl an unabhängigen Filmen auf

Von Mirka Borchardt


Der Katalog ist eine Herausforderung. Fast 500 Seiten dick, mit knapp 350 Spielfilmen plus Kurzfilmwettbewerb plus Fokusreihen plus Open-Air-Vorstellungen und 360 Grad-Filmprojektionen. Eine Auswahl zu treffen scheint schier unmöglich. Auch die Namen der Regisseure sind keine Anhaltspunkte; nicht umsonst ist das Bafici international bekannt für seine besonders experimentellen und unabhängigen Filme und die vielen auch unbekannten Filmemacher, denen hier ein Forum geboten wird. In diesen elf Tagen des Filmfiebers bleibt dem Zuschauer also nichts anderes übrig, als sich mit dem Gefühl abzufinden, ständig etwas zu verpassen. Das gehört dazu. Doch auch blinde Hühner – in diesem Fall die Zuschauer – finden Körner, und zwar desto häufiger, je mehr Körner es auf engem Raum gibt.

Da ist zum Beispiel, stellvertretend für das internationale Angebot, “The Day He Arrives” von Hong Sang-Soo. Der Regisseur aus Südkorea lässt sein Alter Ego nach mehreren Jahren der filmischen Untätigkeit nach Seoul zurückkehren. Er trifft Menschen, darunter eine alte Liebe und einen alten Freund und ein paar junge Filmstudenten. Sie reden, rauchen und trinken, ansonsten passiert eigentlich nicht viel. Und dennoch – mag es an der Siebziger-Jahre-Ästhetik der Schwarz-Weiß-Bilder liegen oder an den fließenden Dialogen, die Kluges vom Leben erzählen –, dennoch hält der Film einen permanenten Spannungsbogen, der den Zuschauer hineinsaugt in eine Welt, die der Wirklichkeit ein paar Zentimeter entrückt zu sein scheint.

Da ist das Erstlingswerk des jungen Argentiniers Ivo Aichenbaum, “La parte automática”, ein sehr persönliches Reisetagebuch von einem Besuch in Israel, bei seinem Vater. Die Auseinandersetzung mit der jüdischen Diaspora, dem Holocaust, der Militarisierung Israels und der Religion sind genauso Teil der Reise wie der Vaterkonflikt des Ich-Erzählers und eine Beinahe-Liebesgeschichte in Gießen. Doch so willkürlich zusammengewürfelt das scheint, so konsistent ist es in Wahrheit: Es gibt einen Zusammenhang, der immer klarer wird, je näher Ivo seinem Ziel der “Aussöhnung, Akzeptanz und Emanzipation” kommt: Alles das ist seine eigene Geschichte, alles das trifft zusammen in seiner eigenen Person. Der Film wurde in die Wettbewerbssektion “Zukunft” aufgenommen: Für die Auswahlkommission ist er wegweisend für das künftige Kino, das die Möglichkeiten des Digitalfilms nutzen wird, um mit der klassischen Filmsprache zu brechen.

Und schließlich sind da noch die deutschen Filme. Christian Petzolds “Barbara”, der den Silbernen Bären für die beste Regie gewann, und Werner Herzog ausladendes Werk über Häftlinge in den Todestrakten US-amerikanischer Gefängnisse (“Death Row”) waren fast komplett ausverkauft. “Barbara” erzählt die Geschichte einer jungen Ärztin aus der DDR, die wegen eines Ausreiseantrags von der Berliner Charité strafversetzt wird in die tiefste Provinz. Obwohl die Konstellation der Charaktere – ihr Kollege ist jung, bärtig und gutaussehend – den Fortgang der Geschichte schon früh erahnen lässt, rutscht Petzold zu keiner Zeit in den naheliegenden Kitsch ab. Einzig zu bedauern ist, dass die spanische Untertitelung die bürokratisch-entmenschlichte DDR-Sprache nicht wiedergibt, genauso wenig wie das distanzierte “Sie” zwischen den beiden Protagonisten.

Werner Herzogs “Death Row”, basierend auf Interviews mit den zum Tode Verurteilten, schafft es wundersamerweise, den Zuschauer nicht zu erschlagen. Obwohl Herzog genau die Fragen stellt, die ans Mark gehen: Wie fühlt sich ein Mensch im Angesicht des sicheren Todes? Wie fühlt sich ein Mörder im Angesicht seiner Taten? Wie fühlt sich ein Zuschauer im Angesicht eines Mörders? Das liegt vor allem am Herzog’schen Dokumentarstil, und an seinen punktgenauen Fragen, die die Inhaftierten zum Reden bringen.

Noch bis Sonntag kann man sich ins Festivalgeschehen stürzen, Informationen gibt es auf der Webseite des Festivals.

Foto:
Ivo Aichenbaums “La parte automática”.

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