Florian Cossen in Buenos Aires

| Film / Cine | 19/4/12 | 0 comentarios

Der deutsche Jungregisseur und einige seiner argentinischen Schauspieler waren bei einer Vorführung von “Das Lied in mir” in der Deutschen Botschaft persönlich anwesend

Von Susanne Franz


Florian Cossen in town! Das Kulturreferat der Deutschen Botschaft von Buenos Aires nutzte die Anwesenheit des deutschen Jungregisseurs in der argentinischen Hauptstadt, um am Dienstagabend dessen Erfolgsfilm “Das Lied in mir” (2010) vorzuführen. Nicht nur Cossen selbst beantwortete am Ende Fragen, sondern auch einige der argentinischen Stars seines Films. Im Publikum saßen vor allem viele junge Lehrer der deutschen Schulen der Hauptstadt und aus dem Großraum Buenos Aires, einige Schulleiter und andere kulturell interessierte Angehörige der deutschen Gemeinschaft in Argentinien. “Das Lied in mir” hatte auch beim letzten Deutschen Kinofestival von Buenos Aires 2011 großen Anklang gefunden. Damals konnte Florian Cossen nicht persönlich anreisen, da er gerade Vater geworden war.

“Das Lied in mir” hat in Argentinien bisher keinen kommerziellen Verleiher gefunden – darum drehte sich auch die erste der vielen interessierten Publikumsfragen am Ende der Vostellung -, was angesichts seiner Thematik eigentlich kaum nachvollziehbar ist. Geht es doch bei dem auf wahren Begebenheiten beruhenden Streifen um das sensible Porträt eines Kindes von während der letzten argentinischen Militärdiktatur “verschwundenen”, d.h. ermordeten Eltern, das erst knapp 30 Jahre später mit der Tatsache konfrontiert wird, dass sein ganzes bisheriges Leben auf einer Lüge beruhte. Also um ein Kapitel jüngster argentinischer Geschichte, das sich gerade im Prozess der Aufarbeitung befindet.

Maria, dargestellt von der bekannten deutschen Schauspielerin Jessica Schwarz, ist Ende 20 und auf der Durchreise durch Buenos Aires mit dem Ziel Santiago de Chile. Als sie im Transitbereich des Flughafens Ezeiza auf den Anschlussflug wartet, hört sie, wie eine Mutter ihrem Baby ein Schlaflied vorsingt – wohlgemerkt auf Spanisch, einer Sprache, die Maria nicht beherrscht. Dieses Lied ruft eine derart emotionale Reaktion in ihr hervor, dass sie – völlig verwirrt und überwältigt – kurzerhand ihren Flug unterbricht und in Buenos Aires bleibt.

Auch der Zuschauer ist verwirrt und wundert sich um so mehr, als Jessicas Vater Anton (Michael Gwisdek) der ja nun nicht mehr gar so jungen Frau sofort hinterherfliegt und vor Ort versucht, sie zur möglichst schnellen Umkehr bzw. Weiterreise zu bewegen. Aber Maria will nicht, sie will wissen, was sie so bewegt hat, koste es, was es wolle. Und sie wird einen hohen Preis zahlen, denn nach und nach kommt ans Licht, wer sie wirklich ist: Sie wurde in Buenos AIres geboren, und ihre Eltern “verschwanden”, als sie drei Jahre alt war. Wie aber kam sie nach Deutschland, wo sie bei Anton und seiner mittlerweile verstorbenen Frau aufwuchs? Maria scheut sich nicht, auch dieser Frage bis zur letzten Konsequenz nachzugehen.

Abgesehen vom schwierigen “Vater”-Tochter-Konflikt geht es auch um die Reaktion der argentinischen Familie Marias, die nach über 25 Jahren unverhofft einen Anruf dieser jungen Frau erhält, die noch nicht mal Spanisch spricht. Der Nachname ihrer richtigen Mutter ist selten, so stößt sie auf deren Bruder Jorge (Carlos Portaluppi), ein dicklicher Mann Mitte 40, der bereit ist, sich mit ihr zu treffen. Im Auto sitzen sie schweigend nebeneinander, Jorge spricht kaum Englisch. Neugierig schaut er sie von der Seite an. Zu Hause angekommen, treffen sie Estela (Beatriz Spelzini), die Schwester von Jorge und Marias ermordeter Mutter Marcela, und die Oma, die schon etwas verwirrt ist und glaubt, Marcela sei nach Hause gekommen. Unglaublich, mit welcher Sensibilität Cossen, immerhin ein Außenstehender, diese und die weiteren Begegnungen inszeniert hat. Und nicht zuletzt tragen auch die grandiosen Schauspielleistungen seines argentinischen Darstellerteams zur Authentizität und Dichte dieser Szenen bei.

Carlos Portaluppi bedankt sich seinerseits bei Florian Cossen: “Er hat ein ganz besonderes Einfühlungsvermögen und eine spezielle Fähigkeit, Schauspieler zu lenken. Wir konnten uns ihm blind überlassen. Ich selbst habe bei dem Casting mitgemacht, weil mich die Tatsache gereizt hat, dass ein junger deutscher Regisseur einen Film über unsere Identität machen will – eine Identität, nach der wir selbst suchen.”

Der sympathische Schauspieler ist begeistert vom Resultat: “‘Das Lied in mir’ basiert auf einem hervorragenden Skript, es ist ein wertvoller Film, der hier ganz sicher gut laufen würde. Er sollte wirklich in Argentinien gezeigt werden, denn er könnte hier viele Köpfe öffnen (d.h. in etwa: viele Menschen erleuchten).”

Auch die Schauspielerin der Schlüsselszene am Flughafen, die singende Mutter, findet, dass “Das Lied in mir” die Problematik der Kinder Verschwundener viel besser einfängt als viele argentinische Filme zu dem Thema.

Die Oma, schon im Film eine der Sympathieträgerinnen Nummer eins, hat mit wenigen Bemerkungen auch das Publikum am Dienstagabend in der Tasche. Was sie dazu meine, dass ein Deutscher einen Film über die argentinische Identität gedreht habe? “Der Junge ist doch kein Deutscher, der ist ein Porteño!”, ruft sie aus und stupst Florian an. “Hört doch mal, wie perfekt der (Río de la Plata)-Spanisch spricht!” Das einzige, was sie bedauert: “Dass sie so viele Szenen, in denen ich drin war, herausgeschnitten haben!” Die (zum Verzeihen neigende) Reaktion der Protagonistin am Ende des Films versteht die Argentinierin. Immerhin habe diese jahrelang die liebevolle Zuwendung dieses “Vaters” erhalten.

Florian Cossen sagt, dass das offene Ende des Films auch darauf hindeutet, dass die wahre Arbeit Marias – stellvertretend für viele der wiedergefundenen Kinder – mit dem Schluss des Films erst wirklich losgehen wird. Dass einige der Mitglieder seines argentinischen Schauspielteams selbst Menschen kannten, die während der Militärdiktatur verschwanden, gab Cossen die Möglichkeit, auf Flashbacks oder andere Informationen über die Militärdiktatur zu verzichten. “Denn das spürt man.” Und er resümiert: “Ich wollte nie als Deutscher den Argentiniern ihre Geschichte erklären.”

Foto:
Suche nach der Identität: Jessica Schwarz als Maria in “Das Lied in mir”.

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