Zwölf Tage Filmfieber – eine Bafici-Bilanz

| Film / Cine | 24/4/12 | 0 comentarios

Besonderheiten, Kuriositäten und Gewinner der 14. Ausgabe des Festivals des Unabhängigen Films

Von Mirka Borchardt

Die Kinosessel sind leer, langsam verschwindet der Geruch von Popcorn aus der Nase. Die vierzehnte Ausgabe des Unabhängigen Filmfestivals von Buenos Aires ist vorbei. Während die Cinephilen mit nostalgischen Gefühlen wieder an ihre tagtägliche Arbeit zurückkehren, hält die Euphorie der Organisatoren noch an: Wieder haben sie sich selbst übertroffen. Mit 230.000 verkauften Eintrittskarten, zuzüglich zu den Akkreditierungen und den kostenlosen Veranstaltungen nahmen insgesamt ungefähr 350.000 Menschen am Bafici teil, 15 Prozent mehr als im letzten Jahr. 1012 Filmvorführungen gab es, 449 Filme, 2000 nationale und internationale geladene Gäste, 18 Preise und sieben besondere Erwähnungen.

Abseits der Zahlen fand das Baficito, die Sondervorführungen für Kinder, die zum vierten Mal Teil des Festivals waren, einmal wieder großen Anklang – nicht nur unter Kindern. Riesigen Zuspruch besonders von jungen Filmfans fanden die erstmaligen Vorführungen im Fulldome-Format in der futuristischen Kuppel des Planetariums. Die Fokusreihen rückten fünfzehn Cineasten internationalen Formats in den Mittelpunkt, darunter den Engländer Grant Gee, der durch seine Arbeiten mit Radiohead weltweit bekannt wurde: den Schweden Thomas Alfredson, bekannt für “Let the Right One In” (2010), den finnischen Kritiker und Regisseur Peter von Bagh und die Brüder David und Nathan Zellner.

Interessant waren auch die internationalen Kooperationen, zum Beispiel mit der Viennale, die anlässlich ihres 50. Geburtstags fünf internationale Filmfestivals weltweit auswählte, um mit fünf signifikanten Filmen aus den fünf Jahrzehnten des Wiener Filmfestivals zu feiern; die neunte Ausgabe des “Buenos Aires Lab” (BAL), das Forum für junge Filmschaffende, die ihre ersten Schritte auf kinematographischem Terrain tun und noch keine Produktionsmöglichkeiten haben; oder die Sektion “Work in progress” (WIP) für Filme, die noch in Entwicklung sind, bei der dieses Jahr zum ersten Mal Filmemacher aus ganz Lateinamerika eingeladen waren.

Im Rahmen der Sektion “Trayectoria”, die wie jedes Jahr die neuesten Werke junger, international renommierter Regisseure zeigt, wurde unter anderem “Barbara” von Christian Petzold gezeigt. Dann gab es noch Vorführungen verschollen geglaubter restaurierter Filme, wie “India” (Argentinien 1960) des Altmeisters Armando Bo oder “Reise zum Mond” von George Méliès (Frankreich 1902), unterlegt mit Musik des französischen Elektro-Duos Air. Kostenlose Veranstaltungen unter freiem Himmel lockten ins Amphitheater des Parque Centenario, gezeigt wurde u.a. Roger Sargents Film über die britische Band “The Libertines” (2011), mit dem Live-Auftritt des begeistert bejubelten Carl Barat, dem ehemaligen Co-Kopf der Band.

Im internationalen Wettbewerb siegte der Film “Policeman” vom israelischen Filmemacher Nadav Lapid. Er zeigt zwei Seiten derselben Medaille eines Landes, in dem staatliche Gewalt eine historische Größe darstellt: Den männlichen Chauvinismus der staatlichen Sicherheitskräfte genauso wie die Unreife und Arroganz sogenannter Revolutionäre, die die Verhältnisse ändern wollen, ohne genau zu wissen, wie das Endprodukt aussehen soll. Nadav Lapid, ein bisher eher wenig bekanntes Gesicht, wurde außerdem als bester Regisseur ausgezeichnet.

Im argentinischen Wettbewerb gewann “Papirosen” (2011), der zweite Langfilm von Gastón Solnicki. Mit alten Videoaufnahmen von Familienfeiern erzählt er die Geschichte seiner Familie, ohne dabei bloß familiäre Anekdoten zu reproduzieren – stattdessen erzählt der Film etwas Abstrakteres über den Kosmos Familie: die unsichtbaren Fäden, die Familienmitglieder miteinander verstricken, die Machtspiele, Gefühle, Widersprüche; der Bedeutungswandel der Vaterschaft über die Generationen hinweg. Er zeigt, wie Gewohnheiten, Rituale und Familiengeschichten die Einheit ‘Familie’ in eine eigene Welt verwandeln.

In der Sektion “Kino der Zukunft” (Cine del Futuro) gewann schließlich der portugiesische Film “É na Terra não é na Lua” (übersetzt etwa: “Es ist die Erde, nicht der Mond”) von Gonçalo Tocha, eine Art Reise-Tagebuch über die portugiesische Insel Corvo, die kleinste Insel der Azoren. Mitten im Atlantischen Ozean gelegen, ist sie weit genug vom Festland entfernt, um den Kontakt zur modernen Welt zu verlieren. Tocha erzählt in 15 Kapiteln Geschichten und Anekdoten aus 500 Jahren Zivilisation, zeigt die engen Verbindungen, die sich zwischen den Einwohnern und den Besuchern ergeben, mit einer filmischen Unkonventionalität und Freiheit, die die Jury als zukunftsweisend für das Kino von Morgen sieht.

In seinem Grußwort im offiziellen Katalog der Bafici schreibt Sergio Wolf, langjähriger künstlerischer Leiter des Festivals: “Anstatt über die Qualität der Filme an sich zu sprechen, ist es entscheidender, dankbar für das Vertrauen so vieler Produzenten und Regisseure zu sein.” Das Bafici hat mehr Einsendungen als jemals zuvor bekommen, und es stimmt: Es etabliert sich immer mehr, auch auf internationalem Niveau, während es gleichzeitig eine Chance für unabhängige Filmemacher darstellt, die sie woanders nicht bekommen. Das ist eine gute Sache, die allerdings auch Schattenseiten hat: Mit dem Ziel des “immer mehr” – mehr Filme, mehr Vielfalt, mehr Nebenveranstaltungen – blockiert sich ein Festival, wird unschärfer, verliert an Konturen. Es sind schlichtweg zu viele Filme, und mit dem noblen Ansinnen, möglichst vielen jungen Talenten eine Chance zu geben, scheint die Auswahl irgendwann wahllos.

Die Selektion des diesjährigen Bafici glich einem italienischen Risotto, und der Zuschauer einem Esser mit verbundenen Augen: Wenn er Glück hatte, fischte er eine Meeresfrucht heraus, mit weniger Glück bloß ein schnödes Reiskorn. Weniger ist manchmal mehr. Trotzdem: Als Forum für den Unabhängigen Film kann das Bafici nicht hoch genug gelobt werden. Schade nur, dass, wie die Veranstalter ganz richtig schreiben, der Unabhängige Film nun wieder ein Jahr warten muss, bis er erneut auf der Kulturagenda der Hauptstadt steht.

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