Lehrstück über “Big Brother”

Das US-Ensemble “The Actors’ Gang” zeigte im Rahmen der Internationalen Spielzeit des San Martín-Theaters George Orwells “1984”

Von Susanne Franz


Mit dem publikumswirksamen Besuch des US-Schauspielers und Theaterregisseurs Tim Robbins, der die internationale Spielzeit 2012 einläutete, landete das Teatro San Martín einen großen Wurf. Am 9. April gab der Star eine ebenso unterhaltsame wie tiefgründige Pressekonferenz, die in den Medien breite Resonanz fand.

Robbins’ Besuch diente der Ankündigung des Bühnenwerkes “1984”, das das US-Ensemble “The Actors’ Gang”, mit dem er seit 30 Jahren zusammenarbeitet, vor sechs Jahren unter seiner Regie erarbeitet und seitdem weltweit aufgeführt hat. Dies war die erste Tournee nach Lateinamerika, wo die erste Station das Internationale Theaterfestival in Bogotá/Kolumbien war. Im Teatro San Martín gab es Vorstellungen am 12., 13. und 14. April – alle drei waren innerhalb kurzer Zeit ausverkauft.

Das Werk ist eine außerordentlich werktreue Bühnenadaptation (von Michael Gene Sullivan) von George Orwells düsterer Gesellschafts-Satire aus dem Jahr 1948. In der Tradition eines Brecht’schen Lehrstücks verfolgte es auf manchmal sehr plakative Weise das Ziel, den Zuschauer – nun ja, eben zu belehren. Das zweistündige Stück wurde nach der ersten Stunde durch eine Pause unterbrochen, man wunderte sich, war aber im Anschluss froh darüber, denn die Folterszenen in der zweiten Hälfte, als der aufmüpfige Protagonist im “Wahrheitsministerium” bis zum Zerbrechen gequält wird, waren schwer zu ertragen. Die Wirkung auf den Zuschauer erlosch aber sofort im Anschluss, als die einzige Frau im Ensemble den Epilog aus Orwells “1984” vorlas – für all diejenigen, die es vielleicht immer noch nicht verstanden hatten.

Trotzdem gab es großen und verdienten Applaus des voll besetzten Hauses für die sechs in ständig wechselnden Rollen agierenden Schauspieler, die alle mehr als solide Leistungen zeigten, die stimmige Bühnentechnik – und sicher nicht zuletzt auch für die nachdenklich stimmende, heute immer noch aktuelle Botschaft des Orwell-Werkes.

Foto:
Freiheitskämpfer Winston (Cameron Dye, Mitte) wird mit seinen schrecklichsten Ängsten konfrontiert.

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