Liebe Deinen Schatten

Richard Maxwells “Showcase” übertrifft alle Erwartungen, indem es keine erfüllt

Von Susanne Franz


Nach endlosen Minuten des Wartens in der sterilen Hotel-Lobby wird die kleine Gruppe Zuschauer – etwa 11 – von einer jungen Frau abgeholt und eilig mit dem Aufzug in den 8. Stock verfrachtet. Die Mini-Herde wird zu einer Tür getrieben, in ein Zimmer gepfercht. Es ist stockdunkel und viel zu warm. Das Cowgirl drückt die Leute sanft gegen die Wand und flüstert, dort könnten sie stehenbleiben, oder sie weist sie an, sich auf den Boden zu setzen. Schnell ist es ganz still. Man sieht die Hand vor Augen nicht.

Dann geht das Licht an. Auf dem Bett liegt ein nackter Mann. Er schreckt hoch, blinzelt irritiert ins Licht. Neben ihm liegt eine Person, die aussieht wie eine in schwarze Tücher gewickelte Mumie. Sein Schatten.

Das neueste Werk des US-amerikanischen Dramatikers Richard Maxwell, “Showcase”, wurde am vergangenen Wochenende im Rahmen der von der Siemens Stiftung, der “Asociación para el Teatro Latinoamericano” (THE) und dem Goethe-Institut organisierten dritten internationalen Theater-Akademie “Panorama Sur”, die drei Wochen lang in Buenos Aires junge Theaterschaffende aus ganz Lateinamerika zu Workshops und Meisterklassen zusammenbringt, aufgeführt. Maxwell war zuletzt im Jahr 2001 in Buenos Aires und wurde auf dem Internationalen Theaterfestival für sein Meisterwerk “House” gefeiert.

Der nackte Mann auf dem Bett beginnt laut nachzudenken. Er ist ein Handlungsreisender und verbringt viele Nächte in solchen Hotelzimmern. Immer wieder aufs Neue muss er den Mut aufbringen, sich anzuziehen und hinauszugehen, um Geschäfte abzuschließen. Heute Nacht ist es schlimmer als sonst. Er hat einen alten Freund getroffen, an dessen Geburtstag, und es lief nicht gut. Das hat ihn aus der Bahn geworfen.

Der Schatten ist ein Schlingel, er macht nur ab und zu das, was man von einem Schatten erwarten würde, nämlich dieselben Bewegungen wie der Mann – der übrigens Jim heißt, wie der Schauspieler, der ihn verkörpert -. Sonst macht der Schatten so ziemlich das, was ihm gerade einfällt, er geht aufs Klo, setzt sich mit verschränkten Armen aufs Bett und hört Jim zu, fast könnte man meinen, gelangweilt. Am Ende überfällt er Jim sogar von hinten und versucht ihm die Gurgel zuzudrücken. Als wäre ihm die Liebeserklärung Jims (“I love you, shadow”) nicht genug gewesen.

Jims Stimme ist hypnotisch, seine Worte sind poetisch, er spricht wie auf einer Schwelle zwischen Wachen und Träumen. Er redet von seinen Gepflogenheiten, wie er einen Deal abschließt, und genauso geht er auch mit seinem kleinen Publikum vor. Stück für Stück kauft er es ein, durch seine Nacktheit, seine Verletzlichkeit, indem er hier und da ein paar persönliche Informationen einstreut (“Ich habe eine Tochter”).

Dann entzieht er sich, wird zugeknöpft, zieht neue Schichten über, schließlich auch seine Kleidung (wobei sein Schatten ihn ziemlich lustlos nachahmt). Doch am Ende ist er wieder offen, als er sich auf die Ecke des Bettes sinken lässt, als der Schatten ihn würgt und er anfängt, eine Schnulze zu singen. Damit hat er den Deal für heute abend in der Tasche.

Das Publikum geht wie betäubt nach draußen nach diesen 30 viel zu intimen, viel zu banalen Minuten. Maxwell überschreitet die Grenzen des Darstellbaren im Theater und lässt den Zuschauer voller Fragen zurück. Und nicht nur das – plötzlich ertappt man sich dabei, wie man seinen Schatten aus den Augenwinkeln beobachtet. Er sollte doch nicht auf komische Ideen gekommen sein?

  • “Showcase” von Richard Maxwell, USA, mit den “New York City Players”: Jim Fletcher (Jim) und Robert Feldman (Der Schatten).

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