Schatten und nackte Haut

Das San Martín-Ballett-Ensemble zeigt drei neue Choreografien

Von Fabian Vögtle

Die olympische Eröffnunsgfeier in London ist gerade mit einem Spektakel zu Ende gegangen, als das zeitgenössische Ballett des San Martín-Theaters in Buenos Aires ebenfalls eine beeindruckende Show bietet. Das von Mauricio Weinrot verantwortete Ensemble präsentiert dem bunt gemischten Publikum ein unterhaltsames Programm mit drei völlig verschiedenen Choreografien. “Ese lugar” von Gabriela Prado, “Estereoscópica” von Ana Garat und “La casa del diablo” von Pablo Rotemberg zeigen die Vielfalt des modernen Balletts.

Die erste von Gabriela Prado mit den Tänzern einstudierte Choreografie arbeitet mit den in Europa seit einigen Jahren beliebten Schattenspielen. Zu Beginn ist das ganze Ensemble mit seinen sportlich-rhythmischen Bewegungen noch vor der beleuchteten Leinwand zu sehen. Doch peu a peu treten einige Tänzer hinter diesen durchsichtigen “Vorhang” und werden durch ihren Schatten zu anderen Figuren auf einer zweiten Bühne. Diese Verbindung von zeitgenössischem Tanz und Schattentheater begeisterte Jung und Alt.

Ana Garats Darbietung überzeugte vor allem mit der wechselnden Garderobe der überwiegend von Tänzerinnen umgesetzten Einlagen, für die Pilar Beamonte steht. Mal bewegen sie sich elegant in ihren langen Pfauen-Kleidern, oder sie wirken in ihren engen, silbernen Astronautenkostümen wie von einem anderen Planeten. Die dunkle Bühne und die trotz des hochgefahrenen Basses eintönige Musik lassen die Ballett-Besucher jedoch etwas in ihre Sessel zurückfallen.

Das ändert sich mit der dritten und besten Choregrafie des Abends schlagartig. Das von Pablo Rotemberg in Szene gesetzte Ensemble wächst in “La casa del diablo” eine halbe Stunde lang über sich hinaus. Das nur in Unterwäsche über die Bühne gleitenden Tänzer sorgen mit meist zweideutigen Bewegungen und Showeinlagen für Lacher und manchmal auch peinliche Stille im gut besuchten Martín-Coronado-Saal. Sie erinnern zunächst an deutsche und französische 68er-Hippies in ihren Kommunen – die Ästhetik wird zur Erotik. Doch schnell herrscht auf der Bühne sexuelle Gewalt und Unterwerfung. Frauen kriechen zu schauriger Orgelmusik rhythmisch über den Boden. Das Harem des Teufels ist ein wildes Völkchen, das sich mit den clownesken Tanzeinlagen von Schwulen und Transsexuellen selbst übertrifft. Als einer von ihnen am Ende zum Mikrofon greift und mit dem tanzenden Chor im Hintergrund “The Winner Takes It All” zum Besten gibt, ist die Choreografie am Höhepunkt angekommen und wird kurzzeitig noch zum Abba-Musical. Am Ende fallen schließlich bei einigen auch noch die letzten Hüllen.

  • Neues Programm des “Ballet Contemporáneo del Teatro San Martín”, Martín-Coronado-Saal, Av. Corrientes 1530, Buenos Aires. Donnerstags 14 Uhr, Freitag und Samstag um 20.30 Uhr, sonntags um 17 Uhr. Parkett: $80, Rang: $60, donnerstags Einheitspreis: $25.

Foto:
Hier beeindrucken vor allem die Kostüme: “Estereoscópica” von Ana Garat.
(Foto: Carlos Furman)

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