Wahrnehmungsveränderung beim Telefonanruf

Minuphone 1967-2012 in der Fundación Telefónica

Von Philip Norten

Der Auftrag der Fundación Telefónica ist es, Kunst auszustellen und zu fördern, die sich mit neuen Technologien beschäftigt und diese in ihre Arbeiten einbindet. Daher war es naheliegend, dass sich die Fundación stark für Marta Minujíns Werk Minuphone interessierte, das damals jedoch nur in der stark beschädigten Originalfassung erhalten war. Gemeinsam mit Experten des Museo Reina Sofía Madrid entschieden sich daher die Telefónica-Stiftung und Minujín, eine neue Version des Werkes anzufertigen, in der Aussehen und Funktionsweise des originalen Minuphones aber bestmöglich nachgeahmt werden sollten. In der Ausstellung sind nun das Original und der Nachbau zu sehen, den der Besucher auch benutzen darf und soll.

Minujín (*1941) war 1966 mit Hilfe eines Guggenheim-Stipendiums nach New York gekommen und hatte dort Anschluss an die Gruppe E.A.T. (Experiments in Art and Technology) um Robert Rauschenberg, Billy Klüver, Robert Whitman und Fred Waldhauer gefunden. Die Künstler waren beeinflusst von Gedanken des Architekturtheoretikers Buckminster Fuller, der utopische Modelle entwickelte, in denen sich Kunst und Technik verbanden mit dem Ziel, eine bessere Gesellschaft zu entwerfen. Zugleich rezipierten die Künstler Konzepte des Medientheoretikers Marshall McLuhan, der sich mit der sensorischen Wahrnehmungsfähigkeit des Individuums beschäftigte.

Beide Positionen aus diesen theoretischen Debatten kann man im Minuphone wiederfinden, das erstmals 1967 in der Galerie Howard Wise ausgestellt wurde. Grundelement des Werkes ist eine gewöhnliche Telefonzelle, die damals das Straßenbild prägte. Minujín hat jedoch zahlreiche Elemente eingebaut, die einen einfachen Anruf unmöglich machen. Nachdem der Telefonzellenbenutzer (heute der Besucher der Fundación Telefónica) eine Nummer gewählt hat, wird er durch unterschiedliche Effekte von seinem geplanten Gespräch abgelenkt: Lichtwechsel, Wind, gefärbtes Wasser an den Fenstern, Stimmveränderungen und die Übertragung des Bildes des Anrufers auf einen Bildschirm im Boden der Kabine werden die Wahrnehmung des Anrufers beeinflussen.

Minujín verfolgt mit dem Minuphone unterschiedliche Ziele. Indem sie ihre Kunst in eine Telefonzelle integriert, wird sie demokratisiert, da herkömmliche Zugangsschwellen zur Kunst (z.B. der weiße Galerieraum) entfallen. Der Besucher wird zur aktiven Teilnahme aufgefordert und seine sinnliche Wahrnehmung direkt beeinflusst; in den Worten der Künstlerin wird der Telefonanruf so zu einem “phsychedelischen Trip”. Minujin bietet dem Besucher an, aus seiner Alltagswelt auszubrechen und ein gewöhnliches funktionales Objekt neu wahrzunehmen – ob er diese Botschaft mitnimmt, bleibt letztendlich aber ihm überlassen. Der heutige Ausstellungsbesucher muss sich, um die Botschaft des Minuphones nachzuvollziehen, zudem in die Zeit zurückversetzen, als der Gebrauch der Telefonzelle noch alltäglich war. Dafür wird er entschädigt mit einem Foto, das ‘heimlich’ von ihm im Minuphone aufgenommen wurde, und die Signatur dieser bedeutenden argentinischen Künstlerin trägt.

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