Von der Fläche in den Raum

Das Kunstmuseum Wolfsburg präsentiert die weltweit größte Frank Stella-Retrospektive seit mehr als 15 Jahren

Von Nicole Büsing und Heiko Klaas


“Für einen Künstler ist es immer schwierig”, sagt Frank Stella, “auf der einen Seite willst du das Publikum vor den Kopf stoßen, aber andererseits willst du auch, dass sie beeindruckt von dir sind.” Diesen schwierigen Balanceakt hat der 1936 in Malden, Massachusetts in ein Elternhaus mit italienischen Wurzeln geborene Maler und Bildhauer in den nunmehr über 50 Jahren seiner künstlerischen Karriere eigentlich immer sehr gut hinbekommen. Stella, dem das Kunstmuseum Wolfsburg jetzt, ein Jahr nach seinem 75. Geburtstag, die seit 15 Jahren weltweit größte Retrospektive ausrichtet, gehört zu den letzten noch lebenden großen US-amerikanischen Künstlern, deren Werk in der Mitte des 20. Jahrhunderts seinen Ausgangspunkt nahm.

Sein Name wird in einem Atemzug mit längst verstorbenen Weggefährten und Zeitgenossen wie Jasper Johns, Ellsworth Kelly oder Barnett Newman genannt. Und, das zeigen die vielen ganz aktuellen Werke in dieser sehenswerten Schau, er gehört auch zu den wichtigsten internationalen Künstlern des 21. Jahrhunderts. Seine steile Karriere begann Frank Stella im Alter von nur 23 Jahren. 1958 war er nach New York gezogen. Seine erste Gruppenausstellung im Museum of Modern Art hatte er 1959. Stella war mit gleich vier Bildern vertreten. Nur ein Jahr später erfolgte die erste Einzelausstellung in der renommierten Leo Castelli Gallery, dem Showroom der jungen New Yorker Avantgarde. Der Durchbruch war geschafft.


Die Wolfsburger Ausstellung, die in enger Kooperation mit dem Künstler entwickelt wurde, versammelt 63 großformatige Werke sowie 82 Arbeiten auf Papier, die profunde Einblicke in den Werkprozess Stellas ermöglichen. Auf eine chronologische Hängung wurde zwar weitgehend zugunsten einer eher assoziativen und publikumsfreundlichen Präsentation verzichtet. Den Beginn der Schau markieren aber dennoch Stellas frühe “Black Paintings”, mit denen er als 23-Jähriger reüssierte. “What you see is what you see” (Man sieht nur, was man sieht): Mit diesem programmatischen Satz hatte er 1964 praktisch das ästhetische Dogma des Minimalismus auf den Punkt gebracht. Frank Stella hätte zu einem der Hauptprotagonisten der Minimal Art werden können. Doch ihm kam es zeitlebens darauf an, sich immer wieder neu zu erfinden. Neue abstrakte Formen und Farben, die Verwendung immer wieder neuer Werkstoffe und Verarbeitungstechniken treiben ihn und seine Kunst bis heute an.

Schon früh verlässt Stella die zweidimensionale Begrenztheit der Leinwand. Seine 2Shaped Canvases” und die Arbeiten aus der “Irregular Canvas Series” brechen bereits in den 60er Jahren mit der Konvention, ein Bild habe rechteckig zu sein, indem sie als Kreis- und Bogenformen, spitze Winkel und unregelmäßige Polygone daherkommen. Anfang der 70er Jahre erfolgt dann der endgültige Aufbruch in den Realraum des Betrachters. Ob er seine raumgreifenden Reliefs, die ineinander verschlungenen Metallbänder und die weit aus dem Bildraum auskragenden, abstrakt und bunt bemalten Wellen, Kurvengebilde und Gitterstrukturen als dreidimensional bezeichnen würde, wird er auf der Pressekonferenz in Wolfsburg gefragt. “2,7-dimensional”, antwortet Stella scherzend, darauf könne man sich einigen.

Der Italiener Lucio Fontana ist als derjenige in die Kunstgeschichte eingegangen, der durch beherzte Schnitte in die Leinwand nicht nur den banalen Raum dahinter sichtbar gemacht, sondern auch das bürgerlich-repräsentative Konstrukt einer illusionistischen Bildauffassung radikal erschüttert hat. Der Italoamerikaner Frank Stella aber hat der neueren Kunstgeschichte eine weitere zentrale Pointe hinzugefügt, nämlich die, dass das Bild seine Oberfläche und Begrenztheit einfach auflösen und sich explosionsartig in den Raum hineinkatapultieren kann. In Wolfsburg gefragt, ob er sich nach einem so experimentierfreudigen und ereignisreichen Leben demnächst zur Ruhe setzen möchte, gibt sich der vom Minimalisten zum Maximalisten gewandelte Frank Stella überaus tatendurstig: “Ich bin längst noch nicht am Ende der Straße angekommen”, sagt der begeisterte Motorsportfan.

Info

  • Ausstellung: “Frank Stella – Die Retrospektive. Werke 1958-2012”
  • Ort: Kunstmuseum Wolfsburg
  • Zeit: 8. September 2012 – 20. Januar 2013
  • Katalog: Hatje Cantz Verlag, 312 S., 321 Abb. 42 Euro (Museum), 49,80 Euro (Buchhandel)
  • Webseite

Fotos von oben nach unten:
Frank Stella, “Paradoxe sur le comediene”, 1974. Kunstharzfarbe auf Leinwand.

Blick in die Ausstellung.

Frank Stella, “La vecchia dell´orto, Cones and Pillars”, 1986.

Frank Stella.
(Fotos: Klaas)

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