Der Atheist
Ein durch und durch seltsamer Mensch
Von Friedbert W. Böhm
Ein seltsamer Mensch! Ist freundlich zu den Leuten, weil er weiß, dass Missmut und Aggression Missmut und Aggression weiterzeugen. Lügt nur in Notfällen. Er meint, dass die Lügen das Miteinander stören und dass gerade das vertrauensvolle Miteinander mittels sprachlicher Kommunikation den Menschen von anderen Tieren unterscheidet. Diesen gegenüber ist er nachsichtig und bescheiden. Er hat bei Konrad Lorenz und anderen gelesen und in vielen Dokumentarfilmen gesehen, wie menschenähnlich viele Tiere empfinden und handeln. Er versucht, nicht seines Nächsten Weib, Ochs, Esel oder Bankkonto zu begehren, denn dies untergräbt den Frieden. Ist gesetzestreu, auch aus Angst vor Strafe, hauptsächlich aber, weil Gesetzesuntreue das Chaos fördert. Ist ordentlich und pünktlich. Wo kämen wir hin, wenn alle das nicht wären?
Hat kein Auto; fährt mit dem Rad. Da ihm die Großstadt nicht gefällt, ist die Familie ins Landesinnere gezogen. Seine Frau hat er nicht mitgeschleift; er hat sie überzeugt. Hier verdient er weniger und seine Frau arbeitet nicht mehr. Dafür brauchen sie auch weniger Geld. Die Wege sind kürzer, das Essen billiger, die Nachbarschaftshilfe größer. Der Garten hilft mit Nahrhaftem, zerstreut und befriedigt. Die Kinder haben nahe Freunde und eine gesündere Umgebung. Abfall gibt es wenig. Kartoffelschalen und Essensreste kommen auf den Kompost. Plastiktüten fallen kaum an, da die Einkäufe mit Taschen oder Körben erledigt werden. Die Familie ernährt sich gesund und ausgeglichen, und zum Frühstück müssen es nicht unbedingt Kiwis oder überseeische Äpfel sein.
Für den Urlaub reicht Kärnten oder die Holsteinische Schweiz, im Zug. Natürlich gibt es begründete Ausnahmen. Einmal ist man auf die Kanarischen Inseln geflogen und einmal sogar zur Schwester des Atheisten in die Vereinigten Staaten. Die Kinder blieben einige Monate dort. Zum Schüleraustausch; man ist ja nicht weltabgewandt. Auf dem Dach liegen Fotovoltaikelemente. Das reicht nicht zur Selbstversorgung, aber es spart Geld und hält zu sparsamem Verbrauch an. Fürs Fernsehen gibt es gemeinsame Stunden und für den Computer hat jedes Familienmitglied seine Benutzungszeiten. Und am Weihnachtsbaum brennen Wachskerzen.
Er steht für seine Prinzipien ein, ohne darauf zu reiten. Andersdenkenden hört er zu. Lässt sich überzeugen, wenn ihm die Argumente stimmig erscheinen. Lässt sie handeln, solange sie nicht ihn oder Dritte stören. Als ziemlich Geschichtskundiger verabscheut er Ideologien. Er hängt keiner Partei an, wählt Menschen, die er für klug, kompetent und redlich hält.
So ist er halt, der Atheist. Er vertraut nicht darauf, dass der liebe Gott schon irgendwie Umwelt und Menschheit intakt halten wird. Er tut selbst etwas dafür.