Abschied der Brasil-Post nach 62 Jahren

Brasil-Post, 62. Jahrgang, Nr. 3203

Sao Paulo, 28. September 2012

Alles hat seine Zeit: Unsere Brasil-Post – nicht mehr zeitgemäß

Von Ursula Dormien


Alle Dinge haben ihre Lebenszeit. Nicht nur Menschen, Tiere und Pflanzen haben eines Tages ein Ende. Es ist ein Gesetz, dem sich niemand entziehen kann. Auch eine Zeitung ist dem unterworfen. Was einst mit großer Mühe aufgebaut wurde. sich über Jahrzehnte – seiner Aufgabe bewußt – bewährte, kann morgen schon nicht mehr zeitgemäß sein.

Zwischen diesem Gestern und Heute liegt oft ein Menschenleben, überzeugt seine Aufgabe pflichtgetreu erfüllt zu haben, sich jedoch nun genötigt sieht, sich dem hehren Gesetz “Werden und Vergehen” zu beugen.

62 Jahre besteht die Brasil-Post. 52 Jahre habe ich, zuerst als Redakteurin und dann als Herausgeberin – davon die letzten 22 Jahre mit tatkräftiger Hilfe meines Sohnes Klaus-Dieter, der 1992 eine Modernisierung der Zeitung mit allem Drum und Dran finanzierte bzw. durchführte – unsere Brasil-Post getreu der bei der Gründung gesetzten Zielsetzung, allen Schwierigkeiten trotzend und letztendlich oftmals mit substantieller Unterstützung wahrer Freunde, dem Leserkreis erhalten.

Trotz gelegentlicher Kritik – “allen Menschen recht getan ist eine Kunst, die niemand kann” – bin ich überzeugt, daß unsere Zeitung eine wertvolle, objektive Informationsquelle, ein beachtlicher Multiplikator war, geachtet und geschätzt wurde und viel Freude bereitete; das brachten im Laufe der Jahrzehnte unzählige Zuschriften wiederholt zum Ausdruck.

Weltweit ist eine Zeitung, die eine Minderheit anspricht, nur mit Idealismus am Leben zu erhalten. Einmal müssen Herausgeber und Mitarbeiter sich mit der Aufgabe, der Zielsetzung des Kulturträgers zutiefst verbunden fühlen und für ihren großen Einsatz mit einem bescheidenen Honorar – gerade ihren Lebensunterhalt garantierend – zufrieden sein. Und zweitens, um alle anfallenden Ausgaben wie Verwaltungs-, Redaktions-, Dmck- und Vertriebsspesen sowie die beachtlichen gesetzlich festgelegten Gebühren aufzubringen, sind Gleichgesinnte, Sponsoren vonnöten, Unternehmer, die die Zeitung als Sprachrohr, Bindeglied und Kulturträger sowie Brücke zu Deutschland ansehen, schätzen und es ihnen ein wichtiges Anliegen ist, den Fortbestand derselben zu ermöglichen. Somit das Vermächtnis der Einwanderer ehrend: “Was du ererbt von deinen Vätern hast, erhalt’ es, um es zu besitzen” (frei nach Goethe aus “Faust”).

Es ist eine unleugbare Tatsache: Die Einwanderer aus dem deutschen Sprachraum Europas des 19.- und 20. Jahrhunderts haben mit ihrem unermüdlichen Fleiß, ihrer unvorstellbaren Opferbereitschaft und ihrem unerschütterlichen Durchhaltevermögen entscheidend zum Aufbau und Fortschritt ihrer neuen Heimat beigetragen. Anerkannt ob ihres tatkräftigen, erfolgreichen Einsatzes, hochgeschätzt ob ihrer Charaktereigenschaften wie Fleiß, Pflichtgefühl und Zuverlässigkeit, schufen diese Pioniere hier eine solide Plattform. eine Vertrauensbasis, die späteren Generationen, den im 20. lahrhundert und später hier angesiedelten Investoren aus der Bundesrepublik Deutschland zugute kamen.

Brasilien achtet und schätzt deutsche Wertarbeit, und hiesige Niederlassungen deutscher Unternehmen waren und sind willkommen. Beeindruckend die Tatsache: Sao Paulo ist mit über 900 Unternehmen aus der Bundesrepublik der größte Industriepol außerhalb Deutschlands.

Auch die im 19. und Anfang des 20. lahrhunderts von Einwanderern und deren Nachkommen gegründeten Unternehmen – besonders in den Südstaaten – leisteten und leisten einen beachtlichen Beitrag zur brasilianischen Wirtschaftsentwicklung.

Nach obigen Ausführungen möchte man meinen, eine in Sao Paulo herausgegebene überregionale deutschsprachige Zeitung, die über die deutschsprechende Gemeinschaft, sei es auf wirtschaftlichem, kulturellem oder sozialem Sektor informiert, berichtet, also die Funktion eines beachtlichen Bindeglieds und Multiplikators ausübt, sei erwünscht, wäre anerkannt, und somit finanziell gefördert. Weit gefehlt!

In den 62 Jahren der Existenz unserer Brasil-Post gab es natürlich auch Engpässe, u.a. machte die Inflation uns schwer zu schaffen. Doch dank der Unterstützung deutscher und deutschstämmiger Persönlichkeiten, meistens Unternehmer, wurde der Fortbestand unserer Zeitung gewährleistet. Erwähnt seien dabei auch unsere unermüdlichen freien Mitarbeiter, Vertreter und treuen Leser. Das Verständnis Letzterer war unbedingt mitentscheidend, als im Januar 1991 durch den “Plano Color” alle Geldeinlagen – darunter auch die bereits deponierten Abonnementsgebühren – “eingefroren” wurden.
Jedoch, seit Gründung der Brasil-Post ist über ein halbes Jahrhundert vergangen, und die Zeit hat sich sehr verändert, wird im allgemeinen und auf allen Ebenen von materiell ausgerichteter Denkungsart geprägt. Auch fand und findet ein Generationswechsel statt. Die meisten Persönlichkeiten, die Ende des vorigen und Anfang dieses Jahrhunderts von der Wichtigkeit eines deutschen Kulturträgers überzeugt waren und das in jeder Weise unter Beweis stellten, deckt längst der grüne Rasen.

Die heutige Generation der Manager – Ausnahmen bestätigen die Regel – hat kaum eine emotionelle Bindung zum deutschen Kulturgut, kein Interesse durch Anzeigenschaltung – das finanzielle Rückgrat jeder Zeitung – einen Kulturträger zu fördern. Anzeigen bedeuten für sie Werbung für die Produkte des Unternehmens und Werbung muß Erfolg ausweisen, den Firmen materiellen Gewinn einbringen. Bei Anzeigenschaltung in einem Kulturträger wird zwar die Firma präsentiert, bringt aber kaum materiellen Gewinn. Also, Förderung eines Kulturträgers ist nicht mehr interessant und nicht mehr zeitgemäß.

Diese Tatsache machte sich in den letzten drei Jahren verstärkt bemerkbar. Nur Sonderausgaben wie z.B. “Wirtschaftstage” konnten eine größere Anzahl yon Anzeigen erzielen.

Mit dem finanziellen Erlös der Sonderausgaben und einer zusätzlichen “Finanzspritze” aus dem “Sparstrumpf” der Farnilie Dormien kamen wir bisher “um die Runde”.

Doch in diesem Jahr verschlechterte sich unsere finanzielle Situation besorgniserregend. Meine großeHoffnung war unsere Sonderausgabe anläßlich der Deutsch-Brasilianischen Wirtschaftstage in Frankfurt. Leider, leider ein totaler Fehlschlag. Von rund 30 angeschriebenen und angesprochenen Unternehmen war das Resultat kläglich, gerade sechs Anzeigen. Das langte kaum, um die zusätzlichen Spesen – u.a. höhere Auflage, Versand und Verteilung der Brasil-Post in Frankfurt – zu decken.

Was nun… Ich klagte meine Sorgen Generalkonsul Matthias von Kummer und war erfreut, daß er unsere Brasil-Post schätzt und ihren Fortbestand bejaht. Doch schnelle Hilfe tat Not. Generalkonsul von Kummer, der uns seitens der Bundesrepublik Deutschland keine finanzielle Hilfe vermitteln kann – Vorschriften, Richtlinien der deutschen Außenpolitik – setzte sich für uns ein, machte sich zu unserem Fürsprecher bei der Deutsch-Brasilianischen Industrie- und Handelskammer (AHK), jedoch ohne Erfolg!

Dank der Bemühungen des Generalkonsuls und Rolf Wiegel, Präsident des Club Transatlantico, fand sich eine Persönlichkeit, die ab 2013 – dem deutschen Jahr – mit Investoren eine neue, zeitgemäße Brasil-Post herausgeben will,

Die Zeitung, weiterhin überregional, wird dem neuen Zeitalter, dem 21. Jahrhundert, angepaßt werden. Modern, redaktionell brisanter, neues Layout, Farbdruck, kurz gesagt, eben zeitgemäß.

Außerdem zweisprachig, um eine zusätzliche Zielgruppe von Lesern und Inserenten zu erfassen. Bei künftigen Inserenten sol1 sich der Schwerpunkt auf Firmen konzentrieren, die mit ihrer Anzeigenschaltung eine effektive Werbung ihrer Produkte anstreben und somit den erwarteten Erfolg erzielen.

Die Verhandlungen dieses neuen Projekts laufen, jedoch der Start der neuen Brasil-Post soll erst 2013 erfolgen. Und bis dahin…?

Der drastische Rückgang der Anzeigenaufträge deckt bei weitem nicht die monatlich anfallenden Spesen. Und obwohl eine Stillegung des Verlags, der Firma Editora Brasil-Post, die gesetzliche Abfindung der Angestellten – teils 20 Jahre und länger – einen horrenden Betrag erfordert, haben wir uns dazu durchgerungen bzw. entschlossen. Privat hätten wir die per Gesetz erforderlichen Beträge nicht aufbringen können. Darlehen bei der Bank infolge des Zinssatzes sind untragbar. Doch, Gott sei es gedankt, wir haben noch wahre Freunde, die uns zur Seite stehen!

So erscheint heute die letzte von mir ausgearbeitete Ausgabe der Brasil-Post. Unsere treuen Abonnenten bitte ich um verständnisvolle Nachsicht und Geduld. Im neuen Jahr wird die Brasil-Post im “neuen Gewand” wieder präsent sein.

Abschließend möchte ich nochmals hervorheben, daß mir der Entschluß, die Herausgabe unserer Brasil-Post einzustellen, unsagbar schwer gefallen ist. In unzähligen schlaflosen Nächten überprüfte ich noch und noch alle bereits durchgeführten Sparmaßnahmen, sowie angestrebten Einnahmemöglichkeiten, doch die Situation war und ist aussichtslos, fordert eine dementsprechende Entscheidung.

So bin ich nun heute gezwungen, mich zu verabschieden, in der Hoffnung und mit der Bitte, um wohlwollendes Verständnis, sowie aufrichtigem Dank an alle, die in freundschaftlicher Verbundenheit unsere Brasil-Post und mich 52 Jahre begleitet haben, mir mit Rat und Tat zur Seite standen.

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