Kultur-Sternstunde im Colón

Mit Mauricio Kagels “Zwei-Mann-Orchester” wurde der Bicentenario-Saal im 3. Untergeschoss des Teatro Colón in Buenos Aires eingeweiht

Von Susanne Franz


Der 2009 in Köln verstorbene argentinische Komponist Mauricio Kagel schrieb über sein Werk “Zwei-Mann-Orchester” (1971/1973): “Im Verlauf der Proben wurde erst in erschreckender Weise deutlich, wie abnorm und zugleich vertraut ein Mensch wirken kann, der musikalische Fließband-Aktionen darzustellen hat. Vielleicht ist ein solcher Eindruck eine Vorahnung. Denn dieses Stück ist schließlich einer Institution gewidmet, die in Gefahr steht, auszusterben: dem Orchester.”

Dieses Meisterwerk der Musikgeschichte feierte am vergangenen Wochenende dank der Organisation des Goethe-Instituts Buenos Aires im Rahmen des von Martín Bauer koordinierten “Zyklus Zeitgenössischer Musik” im Bicentenario-Saal des Teatro Colón seine Lateinamerikapremiere. Drei Vorstellungen waren vorgesehen in dem mit dem “Zwei-Mann-Orchester” eingeweihten neuen Saal für zeitgenössische Musik, am Samstagnachmittag wurde noch kurzfristig eine Sondervorstellung programmiert, so groß war die Nachfrage. Im Publikum waren alle Altersgruppen vertreten – von 8 bis 80.

Wer das Werk der beiden Super-Instrumentalisten Wilhelm Bruck und Matthias Würsch gesehen hat, wird es sicher als eine Sternstunde sowohl als Musik- wie als Theatererlebnis in seiner geistigen Schatztruhe abspeichern.

Schon der Bühnenaufbau des Werkes ist ein Kunstwerk (Mauricio Kagels Frau, die Bildhauerin Ursula Burghardt, war maßgeblich daran beteiligt). Es sind zwei “Schaltzentralen” rechts und links mit jeweils einem Hocker in der Mitte, auf dem die Musiker sitzen und von wo aus sie mit Händen, Füßen, Zähnen, Kopf und Rücken Instrumente, Maschinen oder Werkzeuge zum Klingen bringen. Mit anderen klangerzeugenden Elementen sind sie über Gurte, mit Seilen, Stricken oder Schläuchen verbunden. Die Töne entlocken sie den Klangkörpern auf die scheinbar schwierigste Art – so nimmt Wilhelm Bruck etwa das Tambourin in den Mund, so dass das Trommelfell nach außen zeigt, dann bewegt er mit dem Fuß einen langen Schlegel, und schlägt dann den mit dem Tambourin bewaffneten Kopf gegen den Schlegel.

Fast will man lachen, aber die Musiker agieren mit einem solch heiligen Ernst und solch übermenschlichem Körpereinsatz, dass deutlich wird, dass das hier nicht “zum Spaß” geschieht, dass es eher eine Art Untergangsmusik ist, oder wie Kagel es beschrieb, eine Hommage an eine aussterbende Institution.

Unmöglich, dieses wundersame Orchesterwerk zu beschreiben, in dem die Musiker zu stummen Maschinen werden, die an den Klangkörpern ziehen, sie schlagen, prügeln, hauen, streicheln, Sand auf sie schütten, sie über andere Gegenstände zerren, um ihnen Töne zu entlocken, sie verbiegen, und so ein Rascheln, Klingeln, Pochen, Rauschen, Gluckern, Pusten und Prusten erzeugen, aus dem sich nur dann und wann etwas “Erkennbares” herauskristallisiert wie eine Sirene, ein Zug, oder Zitate aus der Musikgeschichte.

Aufführungen sind noch am 29. und 30.11. sowie 1.12. im Centro Cultural Parque de España (Rosario) und am 8., 9. und 10.12. im Centro Cultural General Paz (Córdoba). Infos auf der Webseite des Goethe-Instituts Buenos Aires.

Foto:
Mauricio Kagel, “Zwei-Mann-Orchester”. Basler Fassung 2011. Spieler: Wilhelm Bruck und Matthias Würsch.
(Foto: Ute Schendel/Paul Sacher Stiftung)

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