Individuelle Wege der Betrachtung
Die Ausstellung “Recorridos” im Centro Cultural Recoleta bringt Kunst und Wissenschaft in Einklang
Von Jenny Stern
Vor der Eröffnung der Ausstellung “Recorridos” im Centro Cultural Recoleta am 15. November luden die Veranstalter zu einem Brunch für die Presse ein. In angenehmer Atmosphäre konnte das Publikum zunächst einen Eindruck von der Ausstellung gewinnen, ehe die Künstler selbst ihre Exponate erklärten. Nach Kaffee und Facturas hieß der Direktor des Kulturzentrums Claudio Massetti die Besucher willkommen und bedankte sich für die gelungene Zusammenarbeit mit der Universidad Maimónides. Die beiden Kuratoren Rodrigo Alonso und Graciela Taquini betonten den Anspruch der Ausstellung, das Künstlerische mit Wissenschaft und Technik zu verbinden. Bis zum 9. Dezember kann man die Resultate dieser Herausforderung in interaktiven und audiovisuellen Installationen, Bio-Art, Lichtkunst und Holografie im Cronopius-Saal des Centro Cultural Recoleta erleben.
Der Ausstellungsraum ist sehr dunkel gestaltet, bis der Besucher auf einen dreidimensionalen Bildschirm auf dem Boden stößt. Der Künstler Joaquín Fargas erklärt, dass es sich dabei um einen Stadtplan handele, der die Umgebung rund um das Kulturzentrum zeigt. Während gelbe Linien auf der Karte die Bewegungen und Wege von Menschen darstellen, werden durch grüne Punkte die Orte ihrer Begegnung markiert. Fargas` interaktive Installation beschäftigt sich mit dem Zusammenspiel von Raum und Zeit und davon, wann sich eine reale Begegnung zwischen Menschen tatsächlich ereignet. Neben der visuellen Darstellung menschlicher Verflechtungen werden auch Audioaufnahmen mit den Dialogen der Begegnungen zur Verfügung gestellt.
Aufmerksamkeit erregt auch das Bio-Kunstwerk des “Proyecto Untitled”, eines Künstler-Kollektivs der Universidad Maimónides. Vor dem Betrachter bauen sich mitten im Raum drei hohe schwarze Wände auf, die von hellen geometrischen Mustern unterbrochen werden. Diese Parzellen erinnern vor allem dadurch an Zellwände, weil auf sie Videos von fließendem Blut projiziert werden. Über dem Kunstwerk sind Bewegungssensoren angebracht. Je mehr Menschen sich davor befinden, desto schneller fließt das Blut in den Parzellen. Blickt man in den Innenraum, den die Wände bilden, erkennt man drei Säulen, in denen menschliche Nabelschnüre in eine Flüssigkeit getränkt sind.
Auch die Künstlerin Marta Minujín ist mit einer Rekonstruktion eines ihrer Kunstwerke aus dem Jahr 1966 vertreten. Das Arrangement verschiedener technischer Apparate spielt auf die Invasion der Technik in das menschliche Leben an. Der Besucher kann diese selbst erleben, wenn er simultan auf einem Bildschirm eines Computers erscheint, sein Name im Radio ertönt, das Telefon klingelt und auf einer Leinwand bei “Google” nach ihm gesucht wird.
“Recorridos” will den Besucher und dessen Erfahrung in den Mittelpunkt der Betrachtung stellen, wobei dieser dazu aufgerufen wird, die Kunstwerke mit all seinen Sinnen zu erfassen. Demnach ergeben sich ganz unterschiedliche Möglichkeiten der Wahrnehmung von Kunst in Verbindung mit Wissenschaft. Eben diese ganz individuellen Wege, die der Besucher bei der Interpretation der Werke einschlägt (die “Recorridos”), spiegeln sich auch in der Vielseitigkeit der Ausstellungsstücke wider.
Centro Cultural Recoleta, Junín 1930, Buenos Aires.
Foto:
Für das Kollektiv “Proyecto Untitled” war es eine Herausforderung, eine menschliche Nabelschnur künstlerisch zu präsentieren.