Sternkreiszeichen

Haben die Sterne vielleicht doch Einfluss auf den Charakter?

Von Friedbert W. Böhm

Ich bin überhaupt nicht abergläubisch. Aber vom bestimmenden Einfluss der Sternkreiszeichen auf unseren Charakter bin ich fest überzeugt.

Schon als ich beinahe noch nicht zu Denken angefangen hatte, wurde mir gesagt, dass ich im Zeichen der Waage geboren worden war und dass dies bedeute, ich hätte immer gerecht und ausgeglichen zu sein.

Zunächst machte ich mir darüber keine Gedanken, wusste ich doch gar nicht, was gerecht und ausgeglichen bedeutet. Als ich die Bedeutung von Gerechtigkeit zu ahnen begann, empfand ich dies als Minderung der Waage-Besonderheit. Gerecht hatte schließlich jeder zu sein, und meine Mutter, Tanten, Großeltern, Lehrer waren dies ohne jeden Zweifel, obwohl die meisten keine Waage-Menschen waren.

Dann hörte ich immer wieder von allen Seiten, dass etwa dieser “nicht anders konnte, als eine Prügelei zu beginnen, weil er schließlich unter diesem Zeichen geboren ist”, oder von jener “als einer Soundso-Geborenen eigentlich nichts anderes als eine frühe Scheidung zu erwarten gewesen war”. Auch beeindruckten mich die Gespräche Erwachsener, dass man, gemäß Horoskop, als Steinbock diese Woche besser keine größere Reise anträte, jedoch, wenn man Jungfrau war, gut etwas riskieren könne, weil die Sterne diesem Zeichen günstig gesinnt seien. Über die wissenschaftliche Begründung für den Zusammenhang zwischen der Milchstraße und einer Jungfrau machte ich mir keine Gedanken.

In der Schule gab es eine traditionelle Feindschaft zwischen den A- und B-Klassen. Da es in beiden nette Jungs gab, hatte ich Freunde auf beiden Seiten. “Na klar”, sagte man, “der ist halt eine Waage”. Das gefiel mir sehr, und ich entwickelte mich zu einem Wanderer zwischen den Fronten. Und wenn jemand ihm ungerechtfertigt scheinende schlechte Noten erhielt, fühlte ich mich als Waage verpflichtet, ihn zu trösten und vielleicht sogar beim Lehrer ein gutes Wort für ihn einzulegen. Hatte das Erfolg, wurde ich in meinem Waage-Selbstverständnis sehr gestärkt. Offenbar bedurfte die Gerechtigkeit auch bei Erwachsenen gelegentlicher Nachhilfe.

“Sei doch nicht so aufbrausend”, sagte meine Mutter, wenn ich einmal aus den Fugen geriet, “du bist doch eine Waage und musst ausgeglichen sein!” Aha, ich hatte also extreme Gemütsschwankungen zu vermeiden oder zu verbergen. Das leuchtete ein; schließlich ist weder einem selbst noch einem anderen damit gedient, wenn man aufbraust oder deprimiert in der Ecke sitzt.

Der Leser glaube nicht, dass meine Waage-Kondition sich so geradlinig und bewusst entwickelt hat, wie hier dargestellt. Das war ein Jahrzehnte währender, unterschwelliger, sich selbst alimentierender Prozess mit vielen Rückschlägen.

Dass Gerechtigkeitssinn und Ausgeglichenheit mit dem Sternbild zu tun haben sollten, hatte ich beinahe vergessen. Sie waren mir jetzt aber irgendwie eingeimpft. Darüber ärgerte ich mich häufig, wenn ich Aggressionen zu erleiden hatte, deren Erwiderung mit meiner Pflicht zur Ausgeglichenheit nicht vereinbar war. Oder wenn an einer meiner Arbeitsstellen gewisse Gehaltserhöhungen oder Beförderungen den Gerechtigkeitssinn beleidigten. Ich haderte dann mit meinem friedfertigen Waage-Charakter, der mir Nachteile zu bescheiden schien.

Andererseits durfte ich aber auch verzeichnen, dass ziviles und rationales Verhalten in einem vernünftigen Umfeld durchaus anerkannt und honoriert wird. Konflikte zu vermeiden oder zu verringern, gar zu lösen, gilt dort eben als eine der heldenhaften Eroberung mindestens gleichwertige Leistung. Deshalb bin ich mit meiner Waage-Konstitution letzten Endes ganz zufrieden.

Ob ich sie nun den Sternen verdanke oder nicht.

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