Multitasking im 17. Jahrhundert

Große Rubens-Schau im Wuppertaler Von der Heydt-Museum

Von Nicole Büsing und Heiko Klaas


Während er ausnahmsweise einmal nicht auf Reisen war und in seinem Antwerpener Atelier voller Inbrunst und Hingabe an einem Gemälde arbeitete, ließ sich Peter Paul Rubens von einem Assistenten aus Tacitus vorlesen. Einem anderen Assistenten diktierte er gleichzeitig einen Brief, und ganz nebenbei hatte er auch noch die Zeit und Muße, einem Besucher Rede und Antwort zu stehen. Von dieser ganz erstaunlichen Mehrfachbegabung berichtet jedenfalls ein zeitgenössischer dänischer Arzt, der das Glück hatte, das wohl wichtigste Malergenie des 17. Jahrhunderts höchstpersönlich erleben zu dürfen, in seinen Briefen.

Dass der 1577 im südwestfälischen Siegen geborene Peter Paul Rubens weit mehr war als der Maler üppiger, barocker Frauengestalten und verklärender Heiligendarstellungen, stellt jetzt eine opulent ausgestattete Ausstellung im Wuppertaler Von der Heydt-Museum unter Beweis. Anhand von rund 40 eigenhändigen Rubens-Werken, die um zahlreiche Arbeiten aus der Werkstatt und dem künstlerischen Umfeld des Antwerpener Meisters ergänzt werden, wagt die Schau die These, dass Rubens, wäre er nicht durch seine Malerei berühmt geworden, auch als Diplomat im Dienste verschiedener europäischer Herrscherhäuser zu Ruhm und Ehre gekommen wäre. Neben vielen großformatigen Gemälden sind in der von Gerhard Finckh und Nicole Hartje-Grave kuratierten Schau auch Arbeiten auf Papier, Tapisserien, Bücher und Briefe zu sehen.

Sein Vater, ein angesehener Antwerpener Jurist, hatte seine Heimatstadt einst unter dramatischen Umständen verlassen müssen. Ihm wurde vorgeworfen, Calvinist zu sein. Ein Verdacht, der nie ganz aufgeklärt werden konnte. Peter Paul Rubens selbst, der nach dem Tod des Vaters im Alter von 22 Jahren gemeinsam mit seiner Mutter und den Geschwistern aus dem deutschen Exil nach Antwerpen zurückgekehrt war, entwickelte sich dort geradezu zu einem Propagandisten der bildgewaltigen katholischen Gegenreformation. In den großen europäischen Königsfamilien, im katholischen Klerus, aber auch in den Patriziern, Zünften, Gilden und Ratsherren seiner Heimatstadt Antwerpen fand er finanzkräftige Abnehmer, die es ihm ermöglichten, einen florierenden Atelierbetrieb mit bis zu 100 Mitarbeitern zu unterhalten.

Trotz aller künstlerischen und wirtschaftlichen Erfolge: Peter Paul Rubens lebte in bewegten und kriegerischen Zeiten. Sein Privileg, als europaweit anerkannter Künstler zwischen den verfeindeten Herrscherhäusern verkehren zu können, betrachtete er als Verpflichtung, sich für den Frieden in Europa einzusetzen. Dass seine Malerei dabei nicht als bloß illustrierendes sondern als selbstbewusst argumentierendes Medium nonverbaler Kommunikation diente, unterstreicht die Wuppertaler Schau anhand zahlreicher Beispiele. Antike und alttestamentarisch unterfütterte Allegorien auf Krieg und Frieden lieferten den Betrachtern seiner Zeit Anschauungsmaterial und Argumentionshilfen – auch zum Verständnis und zur Auflösung aktuell bestehender Konflikte. So zum Beispiel das aus dem Budapester Szépmüvészeti Múzeum stammende Gemälde “Mucius Scaevola vor Porsenna” von 1626-28. Vor der Erzählfolie einer Episode aus der römischen Geschichte zeigt Rubens, zu welchem menschlichen Unrecht irregeleiteter Zorn führen kann. Dieses und sieben weitere Gemälde im Gepäck, gelang es Rubens, den spanischen König Philipp IV. davon zu überzeugen, für ihn Friedensverhandlungen mit seinem englischen Widerpart, König Karl I., führen zu dürfen.

Die Wuppertaler Ausstellung, die ihre Materialfülle nicht zuletzt der derzeitigen Renovierung und mehrjährigen Schließung des Antwerpener Museums voor Schone Kunsten verdankt, beschränkt sich jedoch nicht nur auf Rubens’ bisher unterschätzte diplomatische Qualitäten. In insgesamt acht biografisch untermauerten Themenkreisen wird unter anderem untersucht, wie Rubens den Bilderhunger seiner ganz unterschiedlichen Auftraggeber, nämlich Kirche, Hochadel und vermögendes Bürgertum, einerseits bediente, andererseits aber stets darauf achtete, seine eigene humanistische Weltanschauung nicht zu verleugnen – und sei es in Form kleinster Nebenerzählungen, die nur wenige zeitgenössische Insider überhaupt dechiffrieren konnten.

Der Tatsache, dass Rubens’ barocke Meisterwerke von heutigen Zeitgenossen nur noch bis zu einem gewissen Grade gelesen und verstanden werden können, trägt die Wuppertaler Schau Rechnung, indem sie sowohl in den erläuternden Saaltexten als auch im wissenschaftlich hervorragend erarbeiteten Katalog das historische und geistesgeschichtliche Umfeld seiner Malerei ausführlich erläutert. Rubens selbst war es leider nicht vergönnt, den von ihm so herbeigesehnten europäischen Frieden noch zu erleben. Acht Jahre vor dem Westfälischen Friedensschluss 1648 in Münster stirbt er, von Gicht gelähmt und nur 62 Jahre alt, 1640 in seinem Haus in Antwerpen.

Fotos von oben nach unten:

Peter Paul Rubens, “Wildschweinjagd”, um 1615/16. Foto: Marseilles, Musée des Beaux-Arts.

Peter Paul Rubens, “Der hl. Franziskus empfängt das Jesukind aus den Händen der Madonna”, Öl auf Leinwand, 234 x 184 cm. Lille, Palais des Beaux-Arts.

Peter Paul Rubens, “Venus und Amor”, um 1615. Madrid, Museo Thyssen-Bornemisza.

Escriba un comentario