Wo gehörst du hin?!
Identität und Subkultur standen beim 5. PASCH-Jugendcamp vom 2. bis 8. Dezember in Villa General Belgrano im Mittelpunkt
Von Lisa Rauschenberger
Der Regisseur Wolf Gresenz schaut besorgt zum Himmel. Dort türmen sich schon seit ein paar Stunden dunkle Wolken auf. Auch der Wind weht immer stärker. Ein Unwetter ist im Anmarsch. Die Frage ist nur, wann es ausbricht. Das Kamerateam beeilt sich, mit dem Dreh weiterzumachen. Die Liebesszene ist schon im Kasten, genau wie die Szenen des Puppentheaters und der Street Artists. Jetzt kommen noch die Beat Boxer, die Breakdancer und natürlich die Lehrer dran. Eine Woche lang haben sich die Teilnehmer aller Workshops auf diesen Moment vorbereitet: Sie haben Choreographien eingeübt, Raps auf Deutsch geschrieben, Kulissen gebastelt. All das für das Musikvideo, das beim SommerCamp der Initiative “Schulen: Partner der Zukunft” (PASCH) entstehen soll. Dieses Jahr findet das Camp schon zum fünften Mal statt.
85 Schüler aus Argentinien, Brasilien, Chile, Mexiko, Paraguay und Uruguay sind zusammen mit ihren Lehrern nach Villa General Belgrano in der Provinz Córdoba gereist.
Gemeinsam mit der Projektleiterin Ines Patzig-Bartsch aus dem PASCH-Büro Buenos Aires hat der Berliner Regisseur Wolf Gresenz das Konzept für den Videoclip entwickelt: Ein “Culture Clash” zwischen dem Brauchtum, wie es in einigen deutschen Siedlungen in Argentinien noch immer gepflegt wird, und der modernen urbanen Subkultur.
Der Clip erzählt die Geschichte von Ihab und Maria. Maria lebt im Dörfchen Villa General Belgrano in Argentinien, sie liebt Volkstanz und Trachten. Ihre Großeltern sind vor mehr als einem halben Jahrhundert mit dem Schiff nach Argentinien gekommen. Auch Ihabs Eltern haben eine Schifffahrt hinter sich – nur war das keine Reise, sondern eine Flucht. Sie sind vor dem Bürgerkrieg im Libanon nach Deutschland geflohen. Seitdem lebt Ihab in Berlin. Er liebt Breakdance, Rap und Schlabberklamotten.
Ihab ist eine fiktive Figur. Angelehnt aber ist seine Geschichte an die des Berliner Breakdancers Maradona Akkouch. Auch Maradonas Eltern sind aus dem Libanon nach Deutschland gekommen, wo Maradona vor 18 Jahren im Berliner Bezirk Neukölln geboren wurde. Maradona hat sein ganzes Leben in Deutschland verbracht. Trotzdem hat er keinen deutschen Pass. Lange Zeit waren er und seine Familie in Deutschland nur geduldet, konnten jederzeit abgeschoben werden. Jetzt hat er eine Aufenthaltsgenehmigung, die ihm zumindest für die Zeit seiner Ausbildung garantiert, dass er in Deutschland bleiben darf.
Auch Maradona ist nach Villa General Belgrano gekommen. Er bringt zusammen mit seinem Trainer Ivan Stevanovic den Schülern die Grundlagen des Breakdance bei. Maradona ist ein Ausnahme-Breakdancer. Er tanzt schon seit seiner Kindheit und hat in Deutschland zahlreiche Titel abgeräumt.
Beim Sommercamp in Villa General Belgrano geht es nicht nur ums Deutschlernen. “Wir nähern uns mit den Camps jedes Jahr dem aktuellen Deutschlandbild·, erklärt Ines Patzig-Bartsch, Leiterin von PASCH in der Region Cono Sur. ·Dieses Jahr wollten wir Menschen einladen, die Deutsche sind, aber nicht im klassischen Sinne deutsch, so wie man sich das hier in der Region vorstellt.”
So treffen in Villa General Belgrano die örtliche Volkstanzgruppe auf die Jugendlichen vom Breakdance-Workshop, bayrische Volksmusik auf Hip Hop und Street Art auf rustikale Schwarzwaldästhetik.
Ángel (16) aus Puebla in Mexiko hat am Beat Box-Workshop teilgenommen. Er hat selbst Raps auf Deutsch geschrieben. Zum Beweis legt er gleich los: “Ich komme aus einem Land ohne Namen und ich habe an dich nur eine Frage. Nimm es mir nicht übel, wenn ich dir das so jetzt sage. Mein Identitätsverlust ist, was ich nicht ertrage.”
“Wo gehörst du hin?!” heißt der Videoclip. Dass dies nicht unbedingt eine Frage des Passes ist, den man besitzt, dürfte den Jugendlichen bei dem Camp klar geworden sein.
Foto:
Der Berliner Breakdancer Maradona Akkouch.