Faszination des Urbanen

José Luis Anzizar in der Galerie Elsi del Río

Von Jenny Stern

Mit seiner aktuellen Ausstellung “Urban Papers” kehrt der Künstler José Luis Anzizar zum Schauplatz seiner Serie “Urban Birdwatching” von Anfang 2012 zurück. Es ist die Stadt, die den Autodidakten fesselt und seine Arbeit inspiriert und beeinflusst. Mit seinen Bildern will Anzizar seine ganz eigene Perspektive der Stadt auffangen und ihren Ruf als dunklen, grauen und geradlinigen Raum aufbessern. Hierzu hebt er die Vielfältigkeit der Formen, Farben und Materialien hervor, die sich in ihr aufspüren lassen. Seien es die Verzweigungen an dem Ast eines Baumes, farbige Verkehrsschilder oder interessante Graffiti auf einer grauen, dreckigen Hauswand: die Vorstellungskraft Anzizars kennt keine Grenzen, wenn es um den urbanen Raum geht.

Für Anzizar ist die Stadt ein Ort voller Leben und Ästhetik, er sieht ihre Bewohner, das Chaos, die Bewegung. Seine Bilder erinnern an Städte, wie man sie aus Flugzeugen von oben betrachten kann oder an Stadtpläne, von denen Anzizar seit jeher fasziniert ist, wie er sagt. Jedes seiner Bilder orientiert sich an einer Linie, um die alle weiteren Elemente angeordnet sind. Vor allem im lateinamerikanischen Kontext, wo die Straßen seit der Kolonialzeit im Schachbrettmuster angeordnet sind, kann diese Linearität sofort mit dem städtischen Ambiente assoziiert werden. Eines der Bilder zeigt zwei parallele Hauptachsen, von denen unzählige Weitere abzweigen, bis sie zusammenkommen, sich überschneiden und überlappen. Für dieses Arrangement ließ sich der Künstler von den Rollbahnen und Gebäuden eines Flughafens inspirieren – und tatsächlich lassen sich kleine Flugzeuge ausmachen, die auf den Flughafen zusteuern oder sich davon entfernen.

Anzizar kreiert in “Urban Papers” Collagen aus Papier, das er in die unterschiedlichsten Muster zurechtschneidet und dann aufeinanderklebt. Den Begriff “Collage” versucht der Künstler aber zu vermeiden; er würde seine Bilder limitieren, erklärt er. Vielmehr fühle er sich der Malerei zugehörig, für ihn stellt das Papier nichts anderes als die Leinwand eines Malers und die Schere dessen Pinsel dar. In “Urban Papers” findet sich Papier in allen nur vorstellbaren Farben, Formen und Beschaffenheiten. Es überwiegen orange, rosa, pinke und rote Töne mit vielen blauen Akzenten.

Wann immer der Künstler auf interessantes Material stößt, schneidet er es aus und sammelt es für seine Werke; er entnimmt es aus Zeitschriften, Zeitungen oder Broschüren. Anders als in der Vorgängerserie “Urban Birdwatching” wurden die Arrangements des aktuellen Werkes lediglich auf einfaches weißes Hintergrundpapier geklebt, die verwendete Technik bleibt aber dieselbe. “Die Entscheidung für den Hintergrund war reine Gefühlssache, eine richtige Erklärung dafür gibt es eigentlich gar nicht”, gesteht Anzizar schmunzelnd ein. Eben dieses experimentelle und spontane Schaffen des Künstlers machen auch den Wert seiner Arbeit aus.

Anzizar möchte sich von den konzeptionellen Künstlern abheben und freie, unabhängige Kunst schaffen. Da überrascht es kaum, dass er bei dem Gespräch in der Galerie plötzlich und ohne sie vorher aufzuzeichen, Muster aus einem Blatt Papier schneidet und ganz spontan ein kleines neues Kunstwerk schafft. Anzizar schmeißt selten die Schnipsel und Reste weg, sie seien die eigentlich interessanten Bestandteile seiner Bilder, weil sie viel unbewusster entstehen würden. Ihm gefällt es, zu experimentieren und seinen emotionalen Impulsen zu folgen, ohne zwanghaft viel nachdenken und Konzepte entwerfen zu müssen.

Nachdem er seine Papiermuster zurechtgeschnitten hat, ordnet er sie an, so dass sie sich überlagern oder ineinander übergehen. An manchen Stellen verwendet er dann weniger Klebstoff und spielt mit den Schatten, die das abstehende Papier wirft. Diese Technik intensiviert die Idee der Bewegung im urbanen Umfeld, die der Künstler schaffen möchte. Für ihn entspricht der Schnitt der Schere dem Bild in der Malerei. Ebenso wie der Maler, der malt und das Gemalte übermalt, klebt und überklebt Anzizar seine Papiere so lange, bis es ihm gefällt. “Es ist wie in der Malerei. Es sind Dinge, die erst entstehen, während sie geschaffen werden. Dabei spiele ich mit Versuch und Irrtum. Und auch Zufall”, so Anzizar. Waren in “Urban Birdwatching” noch die Vögel die Protagonisten des Werkes, so sind es diesmal der Schnitt der Schere und die Formen, die dabei entstehen.

Die Motive und Muster aus “Urban Papers” sollen auch in der Kollektion des gerühmten argentinischen Designers Martín Churba für 2014 verwendet werden. Anzizar und Churba wollen in ihrem gemeinsamen Projekt für dessen Modelabel “Tramando” Kleidung anbieten, die sich der Käufer nach individuellen Wünschen gestalten und bedrucken lassen kann. Außerdem wird Anzizar im Jahr 2014 ein Projekt in den Räumen des Kulturzentrums der Fundación Osde ausstellen. Ob es dabei wieder um den urbanen Raum gehen wird, steht noch offen. Dass Anzizar erneut mit Papier als Material arbeiten wird, bezweifelt er aber nicht. Am Ende des Besuchs in der Galerie Elsi del Río bleibt das Gefühl, sich in die überfüllten Straßen der Großstadt werfen zu müssen, um ihre einmalige Schönheit wiederzuentdecken.

“Urban Papers” ist nur nur noch bis Ende Dezember 2012 in der Galerie Elsi del Río, Humboldt 1510, Buenos Aires, zu sehen; dienstags bis freitags 14-20 Uhr, samstags 11-15 Uhr.

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