Zwischen Einzeller und Universum

Das Bucerius Kunst Forum in Hamburg wagt eine Neubewertung des chilenischen Malers Matta

Von Nicole Büsing und Heiko Klaas


Seine Bilder sind raumgreifend in vielerlei Hinsicht. Zum einen bevorzugte Matta fast durchweg das große, ja das ganz große Format. Seine Gemälde sind mit Breiten von bis zu sieben Metern so groß, dass sie nur als aufgerollte Leinwände von einem Ort zum anderen transportiert werden können. Zum anderen aber konstituieren sich auf seinen Bildern Raumsichten, die weit über die gewohnten Dimensionen eines konventionellen Landschaftsgemäldes hinausreichen. Matta entwirft ins Unendliche ausgedehnte Räume, die die Bildwelten des Elektronenmikroskops mit denen des Weltraumteleskops verbinden. Vom Einzeller bis zum Universum, vereint er die unterschiedlichsten Wirklichkeitsebenen auf einer Leinwand, zusätzlich angereichert mit phantastischen und surrealen Elementen, technischen Apparaturen und Andeutungen menschlicher Figuren.

Explodierende Raumkörper, durch den Kosmos driftende Wände, Decken und Böden, bizarre Fluggeräte neben Ampullen, Retorten, Robotern und überdimensionalen Nervenzellen. Das alles vor schlammig nebulösen Hintergründen, die immer wieder von grellen, signalartigen Farbexplosionen durchstoßen werden. Mattas Bilder sind ebenso phantastisch wie apokalyptisch, ebenso visionär wie desillusionierend. Die konkreten Schrecken des Zweiten Weltkrieges und der Konzentrationslager scheinen da ebenso durch wie diffuse Horrorszenarien einer zukünftigen Welt, in der Mensch und Technik, Individuum und Maschine zu hybriden Mischwesen verschmelzen.

Der 1911 in Santiago de Chile geborene Maler, der seit seinem Umzug nach Paris mit 22 Jahren bis zu seinem Tod 2002 in Italien zum nomadisierenden Exilanten und Kosmopoliten wurde, nahm insgesamt dreimal an der documenta teil. Er stellte im New Yorker Museum of Modern Art ebenso aus wie auf der Biennale von Venedig. Sein Leben spielte sich zwischen Paris, New York und Rom ab. Längere Aufenthalte in Mexiko und Havanna kamen hinzu. Nach Chile ist der stets politisch links engagierte Künstler nach dem Militärputsch 1973 nicht mehr zurückgekehrt. Die von Naturgewalten geformten, überaus vielfältigen Landschaften seines südamerikanischen Heimatlandes zwischen Wüsten und Hochgebirge, Gletschern und Geysiren jedoch finden in seinen surrealen Panoramen ganz eindeutig ihren Niederschlag.


Roberto Sebastián Antonio Matta Echaurren, der sich auf Anraten seines Künstlerkollegen Salvador Dalí schlicht Matta nannte, ist in Deutschland immer noch relativ unbekannt. Das Hamburger Bucerius Kunst Forum möchte das nun ändern. Die als konzentrierte Retrospektive angelegte Schau “Matta. Fiktionen” versammelt rund 40, meist großformatige Gemälde aus allen Schaffensphasen des Künstlers. Um die suggestive Leuchtkraft und die räumliche Tiefe seiner Gemälde zu betonen, hat man sich im Bucerius Kunst Forum dazu entschlossen, Mattas Werke auf komplett schwarzen Wänden zu präsentieren. Außerdem wurden teils geschwungene Wände eingebaut, die es ermöglichen, auch die Leinwände auf nach innen gewölbten Keilrahmen zu präsentieren, was vielen Bildern eine zusätzliche Sogkraft verleiht.


Jedes seiner Werke sei “ein Fest, auf dem alle glücklichen Zufälle versammelt sind, eine Perle, die wie ein Schneeball in allen physischen und geistigen Lichtern zugleich strahlt”, sagte André Breton, der Vordenker der Surrealisten, über Matta. Zunächst begeistert von der surrealistischen Gruppe aufgenommen, distanzierte sich diese später von ihm. 1948 erfolgte der Ausschluss. Matta, der immer auch das politische Weltgeschehen, das Schicksal des Menschen und neueste naturwissenschaftliche Erkenntnisse in seinen Bildern reflektierte, hatte sich in den Augen der Surrealisten wohl zu stark von den Tiefen und Untiefen des Unbewussten und der Abstraktion entfernt. Er selbst stilisierte sich fortan zum Außenseiter. Eine Position, der er jedoch durchaus positive Aspekte abgewann: “Es gibt eine Logik des Außenseiters, des Ausgegrenzten. Er muss andere Wege erfinden, und das drängt ihn zum Abenteuer.”

  • Ausstellung: “Matta. Fiktionen”
  • Ort: Bucerius Kunst Forum, Hamburg
  • Zeit: bis 6. Januar 2013. Täglich 11-19 Uhr. Do 11-21 Uhr
  • Katalog: Hirmer Verlag, 196 S., 24,80 Euro in der Ausstellung
  • Webseite

Fotos von oben nach unten:

Ausstellungsansicht “Matta. Fiktionen”.
(Foto: Ulrich Perrey)

“Théorie de l’Arbre”, 1941, Privatsammlung.

“L’Impencible”, 1957, Privatsammlung.

“Les Plaisirs de la présence”, 1984, Privatsammlung.

Ohne Titel (Les oh! Tomobiles), um 1972, Fondazione Echaurren Salaris, Rom.

Ausstellungsansicht “Matta. Fiktionen”.
(Foto: Ulrich Perrey)

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